Geschützte und abgelegene Gebiete werden kontaminiert

Eine neue Studie eines Forscherteams aus Kaiserslautern und Wien bestätigt und erweitert die Ergebnisse von vorangegangenen Untersuchungen des Umweltinstituts (siehe unten). Die aktuelle Analyse zeigt, dass Pestizidrückstände nicht auf Felder und Obstplantagen beschränkt sind, auf denen sie ausgebracht wurden, sondern sich über die gesamte Landschaft verteilen und sogar geschützte und abgelegene Gebiete kontaminieren.

Das Team um den Umweltwissenschaftler Carsten Brühl entnahm dafür zahlreiche Pflanzen- und Bodenproben vom Talboden bis hinauf zu den Gipfeln und in Nationalpark. Diese Proben testeten sie auf 97 verschiedene Pestizidwirkstoffe. Rückstandsmengen und -konzentrationen nahmen zwar mit der Höhe und der Entfernung zu den Obstplantagen ab, doch selbst in Höhenlagen von 2.318 Metern konnten die For­scher:in­nen noch Pestizide in Pflanzen und im Boden nachweisen. Die Studie zeigt damit eine weit verbreitete Pestizidkontamination alpiner Landschaften. Dieses Kontaminationsmuster sei besonders besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass die Proben Anfang Mai genommen wurden und die Pestizidanwendungen bis Ende September andauern, so die Autor:innen. Vor dem Hintergrund, dass alpine Ökosysteme besonders schützenswert sind und auch dort das Artensterben rapide voranschreitet, sind die Ergebnisse alarmierend.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie ist das Vorhandensein mehrerer Wirkstoffe gleichzeitig, wobei nur eine der 53 Proben keine Rückstandsmischung aufwies. Die Forschenden betonten zudem, dass die Komplexität der Mischung in der Realität sogar noch höher sein könnte, da ihre Analysen nur einen Bruchteil der mehr als 400 in der EU verwendeten Pestizidwirkstoffe abdecken. Die Wechselwirkungen dieser Mischungen, auch als Cocktaileffekt bekannt, sind für Mensch, Tier und Umwelt bisher nahezu unerforscht. Es gibt jedoch klare Hinweise darauf, dass die Kombination verschiedener Pestizide deren Wirkungen verändern oder verstärken kann.

Südtiroler Berglandschaft

Hoch oben, in den Bergen des Vinschgaus in Südtirol, wirkt die Natur unberührt. Doch atmet man hier wirklich saubere Luft? Sind sensible Arten der alpinen Ökosysteme hier geschützt vor giftigen Stoffen? Die Antwortet lautet leider: Nein!

Dauerbelastung mit Pestiziden

In einem Pilotprojekt untersuchte das Umweltinstitut München 2018 die Verteilung von Pestiziden aus dem intensiven Obstbau im Südtiroler Vinschgau durch die Luft. Das Umweltinstitut nutze dafür sogenannte Passivsammler. Unsere Messungen ergaben ebenfalls, dass die Ackergifte keineswegs dort verbleiben, wo sie ausgebracht werden, sondern sich über die Luft teilweise viele Kilometer weit verbreiten und so auch in entlegene Bergtäler oder geschlossene Ortschaften gelangen. Für das Vinschgau konnten wir außerdem eine Dauerbelastung von Mitte März bis mindestens Ende August mit Pestiziden in der Luft nachweisen. Für Menschen und Umwelt gab es in dieser Zeit keine Pause von den Pestiziden. Es befanden sich außerdem immer unterschiedliche Mittel gleichzeitig in der Luft, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen können.

Im Durchschnitt 38 Pestizideinsätze pro Saison

In den Jahren 2022/2023 konnte das Umweltinstitut zudem auswerten, was real in der Praxis gespritzt wird,  und in einem Bericht veröffentlichen. Grundlage waren Spritzhefte von Südtiroler Obstbäuerinnen und -bauern aus dem Jahr 2017, die im sogenannten Pestizidprozess gegen unseren damaligen Agrarreferenten Karl Bär als Beweismittel sichergestellt worden waren. Der Prozess endete mit einem Freispruch.

Die Auswertung zeigte, dass die Apfelplantagen durchschnittlich 38 Mal pro Saison mit Pestizidwirkstoffen behandelt wurden. Von März bis September 2017 gab es im Vinschgau keinen einzigen Tag, an dem nicht gespritzt wurde. Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Einsätze wurden mehrere Mittel zusammen ausgebracht. Dabei kamen am selben Tag bis zu neun verschiedene Mittel auf eine Apfelplantage.

Unsere Forderungen

Im Interesse des Schutzes der Artenvielfalt und menschlichen Gesundheit fordern wir ein Verbot chemisch-synthetischer Pestizide bis spätestens 2035 nicht nur in Südtirol, sondern in der gesamten EU. Bereits bis zum Jahr 2030 soll der Pestizideinsatz um 80 Prozent reduziert werden. Das Umweltinstitut München engagiert sich darüber hinaus für eine konsequente Agrarwende hin zu 100 Prozent Ökolandbau, insbesondere durch bäuerliche, regionale Landwirtschaft. Ein Fortführen der industriellen Landwirtschaft mit Monokulturen, Massentierhaltung und hohem Pestizideinsatz ist für uns keine Option.

Außerdem fordern wir, dass landwirtschaftliche Betriebe ihre Pestizideinsätze transparent offenlegen müssen. Nur so können Risiken für Umwelt und Gesundheit realistisch und wissenschaftlich beurteilt werden. Zudem sind Ziele zur Pestizidreduktion nur dann glaubwürdig und messbar, wenn der Status quo als Vergleichswert bekannt ist.

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