EU-Kommission weitet Konzernklagerechte aus
Das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA befindet sich seit 2017 in der vorläufigen Anwendung. Erst knapp die Hälfte der Vertragsstaaten haben den umstrittenen Vertrag ratifiziert. Ein Grund dafür sind die problematischen Schiedsgerichte des Abkommens. Diese sind zwar von der vorläufigen Anwendung ausgenommen, treten aber in Kraft, sobald das Abkommen vollständig ratifiziert ist. Nun sind Verhandlungsdokumente bekannt geworden, die zeigen, dass die EU-Kommission diesen Sondergerichten mehr Kompetenzen verleihen möchte – ohne Beteiligung der Parlamente und ohne öffentliche Diskussion.
Ludwig Essig · Referent für Handelspolitik
Es ist einer der ganz großen Erfolge. Die Europäische Union wird aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) aussteigen. Das hat das EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Eine Entscheidung des EU-Ministerrates wird für Ende Mai erwartet. Der ECT ist der größte Investitionsschutzvertrag für Energieprojekte. Allein in der EU, Großbritannien und der Schweiz schützte er fossile Projekte im Wert von über 344 Milliarden Euro. Die Schiedsgerichte des ECT ermöglichen es Investoren, Staaten für Maßnahmen im Klimaschutz und Energiewende auf Schadensersatz in Milliardenhöhe zu verklagen. Dies führte zu Klagen gegen die Nichtgenehmigung von Ölbohrungen, den Atom- und Kohleausstieg sowie eine Übergewinnsteuer aus der Gaskrise. Nach jahrelangen Protesten steigen jetzt immer mehr Staaten und auch die EU aus diesem Vertrag aus. Doch gleichzeitig passiert etwas Paradoxes.
Im Zweifel für die Investoren
Durch einen Zufall sind wir auf Dokumente gestoßen, die uns sprachlos machen: Mitten im Europawahlkampf und während die Ratifizierung des CETA-Abkommens läuft, lockert die EU-Kommission das Investitionsschutzkapitel in CETA zu Lasten der Regierungen, aber vor allem der Verbraucher:innen und Steuerzahler:innen. Vor acht Jahren gingen Hunderttausende Menschen gegen TTIP, CETA und die geplanten Schiedsgerichte auf die Straße. Auch als der Bundestag am 1. Dezember 2022 dem Abkommen unter Auflagen zustimmte, machten wir unsere Kritik deutlich. Mit der nachträglichen Änderung des Kapitels hintergeht die EU-Kommission alle Parlamentarier:innen, die dem Abkommen teilweise nur zähneknirschend zugestimmt haben.
Was steht drin
Das Verhandlungsdokument umfasst nur acht Seiten, hat es aber in sich. Der wichtigste Inhalt lässt sich in fünf Punkten zusammenfassen:
- Der klagende Investor soll die Möglichkeit erhalten, ein sogenanntes “beschleunigtes Verfahren” zu beantragen (Art. 2 (1))
- Wird das beschleunigte Verfahren gewählt, wird nur noch ein/e einzige/r Richter:in mit dem Fall befasst (Art. 3 (1)).
- Bei Einvernehmen zwischen Investor und Staat kann die Art und Anzahl der Zeugenaussagen durch den Schiedsrichter begrenzt werden (Art. 5 (5))
- Es kann auch komplett auf eine Anhörung verzichtet werden. Falls nicht, kann der einzige Richter entscheiden, wie die Anhörung stattfindet (z.B. telefonisch) (Art. 5 (6)).
- Sollten sich die streitenden Parteien nicht auf gemeinsame Verfahrensregeln einigen können, entscheidet der einzige Richter, wie das beschleunigte Verfahren gestaltet wird (Art. 5(11))
Zusammengefasst wird mit diesen neuen Regeln der Begriff eines Gerichtsverfahrens ad absurdum geführt. Die Schiedsrichter:innen bekommen noch mehr Kompetenzen und die Gefahr der Willkür wird maximiert. Durch die Herabsetzung der Verfahrenskosten und das beschleunigte Verfahren drohen noch mehr Klagen vor nicht-staatlichen Schiedsgerichten. Eine Gefahr für Demokratie, Rechtsstaat, Haushalt und Verbraucherschutz.
Erste Kanzleien wittern bereits das große Geschäft. Denn nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der Verhandlungsdokumente warb White & Case (einer der zehngrößten Wirtschaftskanzleien) bei ihren Klienten für die neuen Klagemöglichkeiten. Der Grund dafür ist, dass große Anwaltskanzleien und Prozesskostenfinanzierer die Anregung und Betreuung von Investitionsschutzfällen als lukratives Geschäftsfeld entdeckt haben – kein Wunder bei Stundenlöhnen von 1000 US-Dollar und mehr. Sie helfen den Konzernen, die schwammigen Rechtsbegriffe aus internationalen Abkommen gezielt auszunutzen.
Ein unbeliebter Deal
Obwohl CETA seit 2017 in der vorläufigen Anwendung ist, haben erst 17 der 27 EU-Mitgliedsstaaten den Vertrag ratifiziert. Das zypriotische Parlament und der französische Senat lehnten die Ratifikation sogar ab. Das irische Verfassungsgericht befand, dass der Vertrag nicht mit der irischen Verfassung vereinbar ist und in Deutschland läuft noch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Es ist fraglich, ob die Ausweitung der Konzernklagerechte dazu führt, dass weitere Parlamente den Vertrag ratifizieren. Sicher ist jedoch, dass sie das Abkommen noch schädlicher für Demokratie und Klimaschutz machen. Für uns ist klar: Wir werden weiterhin über unbequeme Themen informieren und uns gegen Verträge wie CETA oder EU-Mercosur stemmen.
Was können Sie tun? – Wählen gehen!
Am 9. Juni sind Europawahlen. Mit Ihrer Stimme für Demokratie und Klimaschutz entscheiden Sie (zumindest indirekt), wer die nächste EU-Kommission anführt. Das EU-Parlament kann als einzige direkt gewählte Instanz in der EU Druck machen, um Fortschritte zu erreichen und gefährliche Deals zu verhindern. Überlassen wir diese wichtige Einrichtung nicht denjenigen, die sie zerstören wollen. Gehen Sie wählen und stimmen Sie für Klimaschutz, Demokratie und einen gerechten Welthandel!
Quelle: EU Commission 2024
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