Malerisch gelegen im weiten Talkessel des Vinschgau erstreckt sich das Dorf Mals in Südtirol auf rund 1.000 Metern Höhe, umgeben von den imposanten Gipfeln der Alpen. Dieser kleine Ort sollte vor zehn Jahren eine Strahlkraft weit über Südtirol hinaus entwickeln. Denn Mals machte sich auf den Weg, die erste pestizidfreie Gemeinde Europas zu werden. Ob das gelungen ist und was seither passiert ist, berichtet uns der Sprecher des „Malser Weges“ Johannes Fragner-Unterpertinger im Interview.

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Das Umweltinstitut zu Besuch bei den Aktivist:innen vom Malser Weg.

Wie waren denn dann die Reaktionen auf eure Initiative?
Der Großteil der Bevölkerung freute sich sehr, sogar südtirolweit gab es viel Zustimmung. Die offizielle Südtiroler Politik und die sattsam bekannten Lobbys begannen aber ein Trommelfeuer gegen unsere Initiative loszulassen – medial und juristisch.

76 Prozent der teilnehmenden Bürger:innen wollten 2014, dass Mals pestizidfrei wird. Zehn Jahre später gibt es in Mals aber immer noch kein Pestizid-Verbot. Warum nicht?
Das Verwaltungsgericht Bozen gab am 09.10.2019 leider den 38 Bäuerinnen und Bauern Recht, die gegen das Pestizidverbot geklagt hatten. Die Gemeinde Mals beschloss daraufhin in Berufung vor dem Staatsrat in Rom zu gehen. Es dauerte bis zum 31. Jänner 2024: Der Staatsrat in Rom entschied definitiv GEGEN die von der Gemeinde Mals beschlossene Pestizid-Abstandsregelung. In anderen Worten: Auf dem Gemeindegebiet von Mals kann wieder jede:r seine Pestizide ausbringen.

Letztes Jahr konnten wir im Umweltinstitut die Spritzbücher von 681 Apfelbäuerinnen- und Apfelbauern im Vinschgau aus dem Jahr 2017 auswerten.
Das erschreckende Ergebnis: Es gab in diesem Jahr keinen Tag zwischen März und September, an dem nicht gespritzt wurde. Durchschnittlich 38 Mal wurden die Apfelplantagen in dieser Saison mit Pestiziden besprüht. Hat sich die Situation seither verbessert?

Kaum merklich. Wir ziehen jedes Jahr auf unsere eigenen Kosten im Obervinschgau Gras-Proben und untersuchen sie auf Pestizidrückstände. Die diesjährige Untersuchung wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Carsten Brühl von der Rheinland-pfälzischen Technischen Universität (RPTU) durchgeführt. Bei den letzten Proben konnten Pestizidrückstände bis in eine Höhe von über 2300 Meter nachgewiesen werden. In den fünf am Ende Juni genommenen Proben in der Nähe landwirtschaftlicher Anbauflächen und aus Privatgärten wurden 14 verschiedene synthetisch-chemische Pestizid-Wirkstoffe nachgewiesen. Im Durchschnitt wurden acht verschiedene Wirkstoffe pro Probe gefunden. Obwohl die gefundenen Konzentrationen teilweise sehr gering waren, stehen einige dieser Wirkstoffe im Verdacht, die Fortpflanzung zu gefährden. Bei drei der gefundenen Wirkstoffe besteht der Verdacht, dass sie krebserregend sein könnten.

  • Die Vinschgauer Gras-Proben Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden in wissenschaftlichen Fachzeitschriften (peer-reviewed journals) veröffentlicht: Widespread contamination of soils and vegetation with current use pesticide residues along altitudinal gradients in a European Alpine valley – Journal: Nature Communication & Environment)

Wie geht es jetzt weiter mit dem „Malser Weg“?
Wir lassen nicht locker. Denn der Malser Weg ist viel mehr als diese eine Abstimmung vor zehn Jahren. Den Wunsch nach einer besseren gemeinsamen Zukunft für alle in unserer Region gibt es noch immer. Deswegen versuchen wir auf vielen Ebenen und in verschiedenen Formen unsere Idee der ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung des Oberen Vinschgaus weiterzutragen. Zum Beispiel haben wir die Sozialgenossenschaft vinterra und die Bürgergenossenschaft DA gegründet. Wir haben auch ein kleines Kulturcafé mit angeschlossenem Laden installiert, es gibt eine Bio-Sennerei, wir organisieren Veranstaltungen, Kurse, Fortbildungen, Ausstellungen, Workshops, Filmvorführen und dergleichen. In all diesen Initiativen lebt die Idee des Malser Weges weiter.

Lieber Johannes, vielen Dank für das Interview!

Der Einsatz des Umweltinstituts gegen Pestizide in Südtirol

Das Umweltinstitut und die Aktivist:innen des Malser Weges verbindet eine lange Freundschaft. Um die „Pestizidrebell:innen“ von Malszu unterstützen, starteten wir eine Reihe von Aktivitäten: So untersuchten wir die Luft im Vinschgau auf Pestizide und veröffentlichten unsere Funde. Außerdem starteten wir eine Petition an den Südtiroler Landeshauptmann und forderten ihn auf, das Malser Pestizidverbot zu akzeptieren. Schließlich ließen wir 2017 für einige Tage ein satirisches „Pestizidtirol“-Plakat in einem Münchner U-Bahn-Station aufhängen, um auf den hohen Pestizideinsatz in der in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam zu machen und richteten eine eigene die Homepage mit begleitenden Informationen ein. Mit dieser Aktion wollten wir auf den  Widerspruch zwischen der idyllischen Südtiroler Tourismuswerbung und dem industriellen Apfelanbau aufmerksam machen. Für diese Aktion zerrte uns der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft wegen angeblicher „übler Nachrede“ vor Gericht und brachte über 1370 Südtiroler Apfelbäuerinnen und -bauern dazu, sich seiner Klage anzuschließen. Pestizide, so schien es, sind in Südtirol nicht nur Gift für Natur und Gesundheit, sondern auch für die Meinungs- und Informationsfreiheit. Das Strafverfahren endete jedoch mit einem Freispruch für uns und unseren Mitangeklagten Alexander Schiebel. Doch damit war unser Engagement in Südtirol noch nicht beendet: Denn im Laufe des Gerichtsverfahrens hatte die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahmung der Spritzhefte der Apfelbäuerinnen und -bauern,  die uns verklagt hatten, angeordnet. Diese Dokumente haben wir in monatelanger Arbeit detailliert ausgewertet und die Ergebnisse gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung und dem Bayerischen Rundfunk veröffentlicht. Ausführliche Infos zum sogenannten Südtiroler Pestizidprozess und zu den Spritzheften aus dem Vinschgau finden Sie hier.

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