Geteiltes Bild: Linke Hälfte mit EU-Flaggen, rechte Hälfte mit einem Traktor, der Pestizide ausbringt.

Die EU will den Pestizideinsatz bis 2030 halbieren – doch mit der vorgesehenen Bewertungsmethode untergräbt sie ihre eigenen Pläne.

Jahr für Jahr werden große Mengen an Pestiziden eingesetzt. Viele der verwendeten Mittel wirken sich negativ auf Umwelt und Gesundheit aus. Das Artensterben schreitet immer weiter voran und hat inzwischen weltweit dramatische Ausmaße angenommen. Die Landwirtschaft und der damit verbundene Einsatz von Pestiziden zählen zu den Haupttreibern der Biodiversitätskrise. Die geplanten Reduktionsziele der EU-Kommission sind daher durchaus ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die Art, wie die Umsetzung der Pestizidreduktion geprüft werden soll, führt die Pläne ad absurdum.

Hintergrund: Geplante Pestizidreduktion in der EU

Die Reduktionspläne sind Teil des europäischen „Green Deals“, einem umweltpolitischen Konzept, das 2020 von der EU-Kommission vorgestellt wurde und unter anderem zum Ziel hat, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Im Rahmen dieses Pakets an Initiativen und Gesetzesvorschlägen schlägt die Farm-to-Fork-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“) Maßnahmen vor, mit denen ein nachhaltiges Lebensmittelsystem erreicht werden soll. Dazu gehört unter anderem die Reduktion des Pestizideinsatzes: Bis 2030 soll die Verwendung von Pestiziden und das dadurch entstehende Risiko halbiert werden. Rechtlich soll dieses Ziel mit der Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (engl.: Sustainable Use Regulation, kurz: SUR) umgesetzt werden, die derzeit in der EU diskutiert wird.

Wie soll die Pestizidreduktion gemessen werden?

Um die angestrebte Pestizidreduktion zu messen, ist derzeit geplant, den sogenannten „Harmonised Risk Indicator 1“ (HRI 1) heranzuziehen. Er wird berechnet, indem die Pestizid-Wirkstoffe in verschiedene Risikoklassen eingeteilt werden und ein so zugeordneter Risikofaktor mit der Verkaufsmenge multipliziert wird. Die Pestizidindustrie unterstützt diese Bewertungsmethode. Der Grund dafür: Der HRI 1 führt dazu, dass der Pestizideinsatz rechnerisch abnimmt, obwohl ein solcher Rückgang in der Realität nicht stattgefunden hat.

Neben dem Umweltinstitut kritisieren viele weitere Umweltschutzorganisationen den HRI 1 daher scharf. Doch nicht nur Nichtregierungsorganisationen, sondern auch das deutsche Umweltbundesamt warnt vor dessen Verwendung und bezeichnet den HRI 1 als irreführende Berechnungsmethode, die die Pläne der EU aushöhlt. Trotz guter Zahlen auf dem Papier würde so das Artensterben im Agrarraum in Wirklichkeit nicht verhindert werden, warnt die Behörde.

In diesem Video wird die Problematik rund um den HRI 1 anschaulich erklärt:

Welche Schwächen hat die Bewertungsmethode „HRI 1“?

Mit der vorgeschlagenen Berechnungsmethode droht die EU ihre eigenen Pläne zur Pestizidreduktion zu untergraben. Der HRI 1 ist aus verschiedenen Gründen hochproblematisch:

  • Ungenaue Datengrundlage In welchen Mengen Pestizide in der EU tatsächlich eingesetzt werden, ist bislang völlig unbekannt. Zwar müssen Landwirt:innen dokumentieren, welche Pestizide sie wann, wo und in welcher Menge in die Umwelt ausbringen, doch diese Daten werden bisher nicht zentral erfasst. Wir fordern seit langem die umfassende Offenlegung dieser wichtigen Informationen. Lediglich die nationalen Verkaufszahlen werden jährlich in Statistiken erfasst. Auch die EU-Pestizidreduktion sollte unbedingt auf Basis der tatsächlich ausgebrachten Pestizide bemessen werden. Stattdessen beruht der HRI 1 lediglich auf den Absatzmengen.
  • Falsche Risikobewertung Allein die eingesetzte Menge sagt nichts über das Risiko durch Pestizide aus. Viele chemisch-synthetische Pestizide sind schon in kleinsten Dosen hochgefährlich für Umwelt oder Gesundheit. Dagegen müssen manche der auch im Ökolandbau erlaubten Pestizide in großen Mengen ausgebracht werden und bergen trotzdem nur geringe Risiken. Da der HRI 1 auf Grundlage der absoluten, verkauften Menge berechnet wird, verfälscht er die Risikobewertung enorm. Dadurch wird der umwelt- und gesundheitsverträgliche Ökolandbau gegenüber dem konventionellen Anbau stark benachteiligt.
  • Vorgetäuschte Pestizidreduktion Nicht zugelassene Pestizide werden zur Berechnung des HRI 1 dem höchsten Risikofaktor 64 zugeordnet. Wird ein Pestizid in der EU verboten, so wird seine Absatzmenge der Vorjahre rückwirkend mit dem Faktor 64 multipliziert. Das führt dazu, dass der HRI 1 der Jahre, in denen das Pestizid noch erlaubt war, stark steigt. Der verbotene Wirkstoff wird in den Folgejahren erfahrungsgemäß durch andere, ähnlich gefährliche Pestizide ersetzt, dennoch fällt der HRI 1 nach dem Verbot wesentlich niedriger aus. So täuscht die Bewertungsmethode eine Pestizidreduktion auf dem Papier vor, die jedoch in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat.

Unsere Vorschläge für eine verbesserte Bewertungsmethode

Wenn diese Änderungen von der EU eingearbeitet werden, dann kann die geplante Pestizidreduktion tatsächlich zuverlässig überwacht werden:

  • Tatsächliches Risiko besser darstellen: Die Verkaufsmenge bzw. die tatsächlich ausgebrachte Menge eines Pestizidwirkstoffs muss mit der durchschnittlich üblichen Aufwandmenge pro Hektar normalisiert werden. So wird dem tatsächlichen Risikopotential der Wirkstoffe besser Rechnung getragen.
  • Nur echte Pestizidreduktion messen: Der Risikofaktor inzwischen verbotener Pestizide darf nicht rückwirkend erhöht werden. So wird verhindert, dass die Pestizidreduktion nur auf dem Papier stattfindet.

Pestizidreduktion in der EU: Noch ist nichts beschlossen!

Noch sind die Reduktionsabsichten nicht gesetzlich verankert und müssen weitere Instanzen durchlaufen. Während diesem Prozess ist es durchaus möglich, dass Vorhaben geändert oder gar gestrichen werden. Es steht zu befürchten, dass die Reduktionspläne der EU-Kommission im EU-Parlament und -Rat weiter verwässert werden. Doch der Gesetzgebungsprozess bietet auch die Chance den Entwurf positiv zu beeinflussen: Der irreführende Indikator HRI 1 muss so verändert werden, dass Erfolg oder Misserfolg eines zukünftigen Gesetzes zur Pestizidreduktion sinnvoll bewertet werden können.

Jeder Beitrag zählt!

Wir setzen uns dafür ein, dass die Reduktionspläne nicht nur auf dem Papier umgesetzt werden, sondern tatsächlich der Umwelt zugutekommen! Bitte unterstützen Sie uns dabei.

Jetzt handeln!

Fordern Sie Landwirtschaftsminister Özdemir jetzt auf, zeitnah ein umfassendes öffentliches Pestizideinsatz-Register für Deutschland auf den Weg zu bringen.

33.926/40.000 Einträge

Her mit den Daten: Pestizideinsätze offenlegen!

Mitmach-Aktion

Die Offenlegung der Pestizideinsätze ist eine wichtige Voraussetzung für eine wirksame Pestizidreduktion.

Jetzt unterschreiben
Jetzt unterschreiben

Weitere Meldungen zum Thema

Offener Brief: Wir fordern Transparenz beim Pestizideinsatz!

Landwirtschaft

– 78 Prozent der Deutschen wollen wissen, welche Pestizide wann und wo ausgebracht werden. Diese klare Forderung haben wir in einem offenen Brief an die Agrarminister:innen weitergegeben.

Offener Brief: Wir fordern Transparenz beim Pestizideinsatz!

Bodensee-Äpfel: Grenzwert des Pestizids Folpet massiv erhöht

Landwirtschaft

– Obwohl der Pestizidwirkstoff Folpet mit erheblichen Gesundheitsgefahren in Verbindung steht, dürfen Äpfel aus der Bodenseeregion dieses Jahr zwanzigmal höhere Rückstände des Pestizids aufweisen als in der EU normalerweise erlaubt ist.

Bodensee-Äpfel: Grenzwert des Pestizids Folpet massiv erhöht

Pendimethalin: Gefährliches Pestizid weiter zugelassen

Landwirtschaft

– Pendimethalin wird in der konventionellen Landwirtschaft – ähnlich wie Glyphosat – zur Bekämpfung von Beikräutern eingesetzt. Obwohl der Stoff hoch problematisch ist und eigentlich leicht zu ersetzen wäre, wurde seine Zulassung nun um weitere 2 Jahre verlängert.

Pendimethalin: Gefährliches Pestizid weiter zugelassen
Zurück nach oben