Grundlage dafür waren Spritzhefte von 681 Südtiroler Obstbäuerinnen und -bauern aus dem Jahr 2017, die im Pestizidprozess gegen unseren damaligen Agrarreferenten Karl Bär als Beweismittel sichergestellt wurden. Vergangene Woche veröffentlichten wir unsere teilweise erschreckenden Ergebnisse in einem ausführlichen Bericht.

Gleichzeitig veröffentlichten die Süddeutsche Zeitung (SZ) und der Bayerische Rundfunk (BR) eine Analyse der selben Daten. Unter Wahrung des Datenschutzes hatten wir die Spritzhefte an deren Datenjournalist:innen weitergegeben. So konnte unabhängig vom Umweltinstitut eine zweite Auswertung vorgenommen werden.

Berichterstattung Auswertung Pestizideinsatzdaten

Unser Bericht und die ausführliche Berichterstattung in Deutschland schlug in Südtirol hohe Wellen. Zahlreiche Medien berichteten: „Südtiroler Apfelwelt in Aufruhr“, „Der Image-GAU“, „… eingeschlagen wie eine Bombe“, „Gespritzt und ’naturnah‘?“  lauteten die Titel einiger Beiträge.

Der Südtiroler Umweltaktivist Peter Gasser, verglich die negative Berichterstattung im ORF mit einem „Boomerang“, der das Land Südtirol treffe, nachdem man es seit Jahren vermeide, über die Pestizidproblematik zu sprechen. Gasser stammt aus der Gemeinde Mals, deren Bürger:innen sich per Volksbegehren zur pestizidfreien Gemeinde erklärt haben, was die Landesregierung aber bis heute nicht akzeptiert.

Wolfgang Kreiser, Geschäftsführer des Deutschen Obst-Sorten Konsortiums, sprach von einem möglichen Image-Schaden für Südtirol durch die Negativschlagzeilen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Südtirol sei man gut dran, „Alternativstrategien“ zu entwickeln.

Hanspeter Staffler, Abgeordneter der Südtiroler Grünen, forderte angesichts des erschreckend hohen Pestizideinsatzes eine „Ökowende“. Die rund 200 Millionen Euro Fördermittel für die Südtiroler Landwirtschaft müssten zur Ökologisierung genutzt werden.

Berichterstattung über unsere Auswertung der Spritzhefte in der Süddeutschen Zeitung

Berichterstattung in der "Süddeutschen Zeitung"

Sehr groß scheint das Problembewusstein bei der Südtiroler Landwirtschaft dagegen nicht zu sein: Georg Gallmetzer, Präsident der „Arbeitsgruppe Zukunft Landwirtschaft“ wies die Kritik am hohen Pestizideinsatz als „tendenziöse Berichterstattung“ zurück. Der Verband der Obst- und Gemüseproduzenten im Vinschgau warf uns vor, falsch zu informieren, ohne dies jedoch zu belegen. Dabei basieren die von uns veröffentlichten Zahlen, wie auch die der SZ und des BR, auf den Angaben, die die Obstbäuer:innen selbst in ihren Spritzheften gemacht hatten.

Auch Arnold Schuler, der Südtiroler Landesrat (entspricht in Deutschland einem Landesminister) für Landwirtschaft, behauptete in den Abendnachrichten von RAI Südtirol, die veröffentlichten Zahlen zur Anwendungshäufigkeit könnten sicher nicht stimmen. Schuler sieht vor allem ein Kommunikationsproblem, wonach sich die Südtiroler Apfelwirtschaft besser darstellen müsse. Immerhin: In einem weiteren Interview  zeigte sich Schuler offen für eine „Bio-Region“, auch wenn nicht alle Pestizide von jetzt auf gleich abgeschafft werden könnten. Ob sich da eine vorsichtige Kurswende andeutet? Wir werden sehen.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick

Die Analyse der Datenjournalist:innen von SZ und BR und unsere eigene Auswertung wecken Zweifel am schönen Bild, das die Südtiroler Apfelindustrie von sich selbst zeichnet. Diese bezeichnet sich nämlich gerne als naturnah und nachhaltig, spricht davon, dass die eingesetzten Pestizide keine Gefahr für Mensch und Tier darstellen dürfen und nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn „ökologische Mittel nicht mehr ausreichen“ und die Ernte in Gefahr ist.

Die Auswertung der uns vorliegenden Daten hat ergeben:

  • 38 Mal wurden die Apfelplantagen der 681 ausgewerteten Vinschgauer Betriebe 2017 im Durchschnitt mit Pestizidwirkstoffen behandelt.
  • Von März bis September gab es keinen einzigen Tag in der beliebten Urlaubsregion, an dem nicht gespritzt wurde.
  • Mehrere der am häufigsten eingesetzten Pestizide sind besonders umwelt- oder gesundheitsgefährlich, sie gelten beispielsweise als vermutlich krebserregend oder fruchtbarkeitsschädigend, als gefährlich für Bienen, Nützlinge oder Wasserorganismen.
  • Bis zu neun verschiedene Mittel wurden am selben Tag auf der selben Apfelplantage ausgebracht.
  • 87 Prozent der Behandlungen wurden mit chemisch synthetischen Pestiziden durchgeführt.

Von naturnahem und nachhaltigem Anbau, der Umwelt und Gesundheit schont, kann also keine Rede sein. Die Spritzdaten bieten einen brisanten Einblick in die landwirtschaftliche Praxis des Obstbaus. Und sie zeigen einmal mehr: Wir müssen Schritt für Schritt bis spätestens 2035 aus dem Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden aussteigen. Die Gefahren, die mit dem Einsatz für unsere Umwelt und Gesundheit verbunden sind, sind einfach zu hoch!

Weitere Ergebnisse und welche Forderungen wir daraus ableiten, können Sie auf unserer Themenseite nachlesen.

Mehr zum Thema

Alle Informationen zu unserer Auswertung, den Bericht zum Download sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Forderungen finden Sie hier:

Die Spritzhefte aus dem Südtiroler Pestizidprozess

Auswertung

Die Auswertung der Pestizideinsatzdaten, die im Südtiroler Pestizidprozess als Beweismittel sichergestellt wurde, ermöglichen erstmals Aussagen darüber, welche Pestizide wann und in welcher Menge im Vinschgauer Apfelanbau eingesetzt wurden.

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