UN-Parallelreport: EU-Mercosur-Abkommen verstößt gegen soziale Menschenrechte
Mit einem Parallelreport zum 3. Staatenbericht Brasiliens legt das Umweltinstitut München dar, warum das geplante EU-Mercosur-Abkommen gegen den internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte verstößt. Der Report wurde von den Vereinten Nationen bereits akzeptiert. Der Bericht wird von Ludwig Essig, Handelsexperte am Umweltinstitut München, am 27. September in Genf beim 74. Treffen des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte vorgestellt.
Ludwig Essig
Anlässlich der Überprüfung des 3. Staatenberichts Brasiliens zur Umsetzung des UN-Pakts reichte das Umweltinstitut München erstmals einen Parallelreport ein. Mit diesem Report wird aufgezeigt, warum das geplante EU-Mercosur-Abkommen gegen die Rechte auf Selbstbestimmung (Art. 1), Arbeit (Art. 6), gerechte und günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7) sowie Nahrung (Art. 11) und Gesundheit (Art. 12) des internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verstößt. Dazu Ludwig Essig, Referent für Handelspolitik am Umweltinstitut und Koordinator des Netzwerk gerechter Welthandel:
“Die negativen Auswirkungen des EU-Mercosur-Abkommens auf den Amazonas-Regenwald werden breit diskutiert. Doch auch seine katastrophalen Folgen für Arbeiter:innen, Kleinbäuer:innen und die Gesundheit der Verbraucher:innen müssen dringend thematisiert werden. Mit unserem Parallelreport zeigen wir auf, warum Brasilien und alle anderen Staaten des Mercosur und der Europäischen Union, die den UN-Sozialpakt unterschrieben haben, dem neokolonialen Giftvertrag nicht zustimmen können. Nur eine Handelspolitik, die im Sinne der Menschenrechte und der planetaren Grenzen arbeitet, ist zukunftsfähig.„
Hintergrund
Aufgrund des dritten Staatenberichts Brasiliens kommt am 28. und 29. September der UN-Ausschuss für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechte zusammen, um die Umsetzung dieser Rechte in Brasilien zu beraten. Dies nimmt das Umweltinstitut zum Anlass, um in einem Parallelreport dem Ausschuss darzulegen, warum eine Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens gegen den Pakt und dessen internationale Rechte verstoßen würde. Die Umweltschutzorganisation begründet dies damit, dass das Handelsabkommen gegen mindestens fünf wichtige Artikel des internationalen Paktes verstößt:
Verletzungen des Rechts auf Selbstbestimmung (Art. 1): Vor allem im Bereich des Handels mit Rohstoffen verstößt das EU-Mercosur-Abkommen gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Durch den Abbau von Zöllen und die Verhinderung von Exportbeschränkungen gehen damit neben sozialen und ökologischen Katastrophen auch gravierende Folgen für die heimische brasilianische Industrie einher. Das Abkommen schreibt ein grundsätzliches Verbot von jeglichen Steuern und Abgaben auf Exporte vor. Exportsteuern sind ein wichtiges entwicklungs- und industriepolitisches Instrument, mit dem Regierungen sowohl Staatseinnahmen erzielen als auch die inländische Verfügbarkeit knapper Rohstoffe sicherstellen können, seien dies Lebensmittel oder Bergbauprodukte. Mit der Zementierung einer einseitigen Handelsbeziehung führt die EU Brasilien in die Sackgasse des ewigen Rohstofflieferanten, während die Wertschöpfung in der EU stattfindet. Ein Verzicht auf Exportsteuern zu Lasten der heimischen Industrie und den Arbeiter:innen wegen des EU-Mercosur-Abkommens würde einen eklatanten Bruch mit Part 1, Artikel 1 (2) darstellen.
Verletzungen des Rechts auf Arbeit (Art. 6): Eine 2022 vorgestellte Studie von der Federal University of Rio de Janeiro rechnet mit einem voraussichtlichen Verlust von insgesamt 400.000 Arbeitsplätzen, wovon 280.000 Frauen betroffen sind. Nicht zuletzt die brasilianische Regierung selbst warnte bereits vor den problematischen Vereinbarungen im jetzigen Abkommen, die industrielle Entwicklung im eigenen Land beeinträchtigen werden. Eine im Juli diesen Jahres vorgestellte Studie des brasilianischen Institute of Applied Economic Research rechnet außerdem ebenfalls mit einer Deindustrialisierung Brasiliens in Folge des Abkommens.
Verletzungen des Rechts auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7): Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat Brasilien 2022 erneut in der Liste der „zehn schlimmsten Länder für erwerbstätige Menschen“ seines Globalen Rechtsindex geführt. Der Vertragstext enthält weder die Verpflichtung zur Ratifizierung aller ILO-Kernarbeitsnormen, noch sieht er effektive Maßnahmen vor, um die zahllosen Menschenrechtsverletzungen bei Landkonflikten zu ahnden. Durch die umfangreichen Zollsenkungen für industrielle Importe aus der EU wird zudem der Druck auf Land, Ressourcen und Arbeiter:innen weiter steigen.
Verletzungen des Rechts auf Nahrung (Art. 11): In Brasilien leiden über 33 Millionen Menschen an schwerer Ernährungsunsicherheit. Das EU-Mercosur-Abkommen verändert die wirtschaftlichen Bedingungen für landwirtschaftliche Betriebe in der EU und den Mercosur-Staaten. Weil es keine wirksamen Schutzmaßnahmen enthält, wird das Abkommen den Druck auf landwirtschaftliche Kleinbetriebe und indigene Gemeinschaften sowie deren Land dramatisch erhöhen und Produktivitätssteigerungen gefährden. Das EU-Mercosur-Abkommen verfolgt das Ziel, die (meist mit Gensoja erzeugten) Fleischexporte von Brasilien nach Europa um 50 Prozent zu steigern. Dies hätte eine weitere Steigerung von Hunger, Landlosigkeit, Waldabholzung in Brasilien, sowie die Schließung von Familienbetrieben in Europa zur Folge. Außerdem erschwert der zunehmende Anbau von Monokulturen den Zugang zu sauberem Wasser. Damit verstößt EU-Mercosur nicht nur gegen Artikel 11 des Committee on Economic, Social and Cultural Rights, sondern auch gegen die Nachhaltigkeitsziele der UN.
Verletzungen des Rechts auf Gesundheit (Art. 12): Bereits heute verbraucht Brasilien circa eine halbe Million Tonnen Pestizide pro Jahr. Dabei sind 20 Prozent der in Brasilien verkauften Pestizide laut dem Pestizid Aktionsnetzwerk (PAN) hochgefährlich, auch für die menschliche Gesundheit. Die Folgen sind gravierend. Jährlich gibt es tausende Pestizidvergiftungen, etliche davon mit Todesfolge. Aktuell werden auf EU-Pestizidexporte in die Mercosur-Region Zölle von bis zu 14 Prozent erhoben. Das Handelsabkommen würde die Zölle auf mehr als 90 Prozent der EU-Chemikalienexporte, einschließlich Pestiziden, abschaffen. Dies bedeutet, dass die Pestizidindustrie mit höheren Absatzmengen zu zollfreien Preisen rechnen kann. Außerdem würden die Einfuhrkontrollen abgebaut, und die Exporteure könnten sich selbst bescheinigen, dass sie die EU-Richtlinien in Bezug auf die Rückstände von Pestiziden einhalten.
Das Umweltinstitut München fordert in seinem Parallelreport:
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Einen sofortigen Stopp der Verhandlungen über das vorliegende EU-Mercosur-Abkommen
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Grundlegende Neuverhandlungen eines Handelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten
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Unterzeichnung aller ILO-Kernarbeitsnormen durch Brasilien
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Erhalt der Regulierungsfreiheit zum Schutz der heimischen Industrie und den damit verbundenen Arbeitsplätzen
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Verbot von Gentechnik in der Landwirtschaft in Brasilien
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Einführung einer Haftung durch Agrarkonzerne für alle durch den Einsatz von Pestiziden entstandenen Schäden
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Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Nahrungsmittelversorgung
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Umsetzung einer Agrarreform zugunsten von Kleinbauern und Landlosen
Weitere Informationen
- Der vom Umweltinstitut eingereichte Parallelreport
- Themenseite zum EU-Mercorsur-Abkommen