Ein Vierteljahrhundert Verhandlungen – und kein Fortschritt

Die Gespräche über das EU-Mercosur-Abkommen begannen 1999 und wurden lange hinter verschlossenen Türen geführt. 2019, geschlagene zwei Jahrzehnte später, erklärten die Verhandlungsparteien die Gespräche für abgeschlossen und kündigten an, das Abkommen zügig verabschieden zu wollen. Diese Ankündigung fiel allerdings genau in die Zeit, in der Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro wegen der massiven Abholzung des Amazonas in der öffentlichen Kritik stand. Eine Unterzeichnung wäre damals politisch nicht vermittelbar gewesen – der Handelsdeal lag vorläufig auf Eis. Erst mit dem Regierungswechsel zu Luiz Inácio Lula da Silva nahm die EU-Kommission die Fäden wieder auf. Am 6. Dezember 2024 wurde schließlich ein nachverhandelter Text präsentiert. Unterschriftsreif, aber weiterhin hochproblematisch. Diese Woche startet jetzt die EU-Kommission – begleitet von Protesten – den Ratifizierungsprozess.

Blick von oben auf ein Waldstück, in dem ein Feuer wütet. Dichte Rauchschwaden steigen zwischen grünen und bereits verbrannten Bäumen auf.

Klimaschutz ohne Wirkung

Die EU-Kommission preist als großen Erfolg, dass das Pariser Klimaabkommen nun als „wesentliches Element“ im Vertrag stünde. Doch die Klausel greift nur, wenn ein Land das Klimaabkommen verlässt. Dann kann das jeweilige Land entweder in Teilen oder vollständig vom EU-Mercosur-Abkommen ausgeschlossen werden. Ein Szenario, das praktisch kaum durchsetzbar ist. Schon hier zeigt sich, dass die vermeintliche Klimaschutz-Aufwertung nicht mehr als Symbolpolitik ist.

Schwacher Schutz für die Wälder

Noch deutlicher wird das Problem beim Thema Entwaldung: Am 30.12.2025 tritt die EU-Entwaldungsverordnung in Kraft. Das Ziel dieser Verordnung ist, dass auf EU-Märkten keine Produkte mehr verkauft werden dürfen, deren Herstellung Wälder vernichtet oder die Rechte indigener Völker beschneidet. Um das zu gewährleisten, ist eine ausgefeilte Risikobewertung für importierte Produkte vorgesehen. Das Freihandelsabkommen sieht jedoch vor, dass die Mercosur-Staaten „wohlwollend berücksichtigt“ werden, und ihre eigenen behördlichen Zertifizierungen anerkannt werden. Damit würden gerade jene Institutionen, die Abholzung in der Vergangenheit kaum verhindert haben, über die Einhaltung europäischer Regeln mitbestimmen.

Ein Mechanismus gegen hohe Schutzstandards

Besonders problematisch ist der neue „Ausgleichsmechanismus“. Er erlaubt es den Mercosur-Staaten, über ein extra dafür geschaffenes Gremium gegen europäische Maßnahmen vorzugehen, wenn diese Exporte beeinträchtigen. Dazu zählen ausdrücklich auch Regeln im Bereich Klima-, Umwelt- und Arbeitsschutz. Kommt es zu keiner Einigung, drohen Strafzölle. Betroffen wären nicht nur neue, sondern auch bestehende Regelungen, die noch nicht vollständig in Kraft sind, wie oben genannte EU-Entwaldungsverordnung oder die Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten. Zudem können auch nationale Maßnahmen einzelner Mitgliedsstaaten ins Visier geraten. Da selbst Verwaltungsvorschriften als „Maßnahmen“ gelten, droht ein weitreichender Eingriff in die Politikgestaltung der EU. Parlamente könnten aus Angst vor Handelssanktionen davor zurückschrecken, neue Gesetze zum Schutz von Menschen und Umwelt zu erlassen. Das ist nicht zuletzt eine Gefahr für die Demokratie.

Aber China und Trump…

Eines der Hauptargumente für das Abkommen lautet momentan: Europa brauche Mercosur, um sich wirtschaftlich gegen China oder die USA unter Präsident Trump zu behaupten. Doch diese Begründung, die geostrategisch zunächst sogar einleuchtend erscheinen mag, hält einer genaueren Prüfung nicht stand: Das Handelsvolumen der EU mit den USA ist fast zehnmal so groß wie mit den Mercosur-Staaten; selbst ein starker Ausbau der Beziehungen könnte die Abhängigkeit von den USA nicht wirklich reduzieren. Auch Chinas Einfluss in Südamerika ließe sich durch das Abkommen nicht zurückdrängen, da dieser weniger auf Zollpolitik als auf Krediten, Infrastrukturprojekten und Direktinvestitionen beruht. Vor allem aber: Der ökonomische Nutzen für die EU ist verschwindend gering. Selbst Studien im Auftrag der Europäischen Kommission rechnen nur mit einem Wachstumsimpuls von 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für die Mercosur-Staaten liegt der Wert bei etwa 0,3 Prozent. Das bedeutet: Ein Vertrag, der politisch als geopolitische Notwendigkeit verkauft wird, hätte in der Praxis kaum messbare Effekte.

Mehr Risiko als Nutzen

Das EU-Mercosur-Abkommen wird als „strategisch unverzichtbar“ dargestellt. Doch in Wahrheit droht es, zentrale Umwelt- und Menschenrechtsstandards zu untergraben, während sich der ökonomische Gewinn im Promillebereich bewegt. Ein Handelsdeal, der Entwaldung und die Klimakrise beschleunigt, kann per se keine neue Stabilität erzeugen.

Es wird ernst

Bisher scheiterte das Abkommen vor allem am Widerstand aus einigen europäischen Mitgliedsstaaten. Angeführt wird die Fraktion der Gegner von Frankreich, wo vor allem die Landwirtschaft starken Druck gegen den Abschluss ausübt. Deutschland hingegen steht als starker Befürworter des Abkommens fest – und das nicht erst, seit die CDU unter Friedrich Merz die Regierung übernommen hat: Selbst die Grünen wollten als Teil der Ampelregierung EU-Mercosur unbedingt abschließen, auch wenn es innerparteilich großen Widerstand gab. Gerüchteweise bröckelt aber nun der Widerstand innerhalb der EU, und das Abkommen steht tatsächlich kurz vor dem Endspurt.

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