Seit Mittwochnachmittag ist es offiziell: CDU und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Der enthält durchaus Lichtblicke – etwa den Erhalt des Informationsfreiheitsgesetzes, den wir gemeinsam mit mehr als 400.000 Menschen verteidigt haben. Auch ein Wiedereinstieg in die Atomkraft ist vom Tisch. Gleichzeitig drohen weiterhin massive Eingriffe in Transparenz- und Beteiligungsrechte für die Gesellschaft. Und auch die Energiewende gerät unter Beschuss: Statt den Gasausstieg voranzutreiben, soll die Nutzung des klimaschädlichen Energieträgers sogar verlängert werden – inklusive der Erschließung neuer Gasfelder in Deutschland. In der Landwirtschaftspolitik droht ebenfalls Ungemach: Maßnahmen zur dringend notwendigen Pestizidreduktion fehlen komplett, verbindliche Vorgaben für mehr Ökolandbau sucht man vergeblich im Koalitionsvertrag.

Unsere Expert:innen analysieren im Folgenden, was der Koalitionsvertrag konkret für die Energie- und Wärmewende, die Agrarwende und den Schutz unserer Umwelt bedeutet.

Vier Politiker:innen stehen an Rednerpulten. Im Hintergrund: Symbole für erneuerbare Energien, Atomkraft, Pestizide und Industrieemissionen.

Informationsfreiheits- und Umweltrechte unter Druck

Die neue Bundesregierung zeigt im Koalitionsvertrag ein ambivalentes Bild bei Informations- und Umweltrechten. Ein wichtiger Erfolg: Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) bleibt erhalten. Statt seiner Abschaffung plant die Regierung nun eine Reform des Gesetzes. Das ist auch eine Chance für ein modernes, einheitliches Transparenzgesetz, das proaktiv Informationen zugänglich macht.

Gleichzeitig drohen gefährliche Rückschritte bei Beteiligungsrechten. Die Koalition will das Verbandsklagerecht auf „tatsächliche Betroffenheit“ ausrichten und das Umweltinformationsgesetz „verschlanken“. Diese Vorhaben gefährden zentrale Rechte der Zivilgesellschaft. Gerade das Verbandsklagerecht ist unverzichtbar: Umweltverbände vertreten dort Natur und Umwelt, wo Einzelklagen wegen fehlender menschlicher Betroffenheit nicht möglich sind. Die geplanten Einschränkungen widersprechen klar der Aarhus-Konvention, die Deutschland verpflichtet, breite Beteiligung und Klagerechte im Umweltschutz zu sichern.

Fabian Holzheid, politischer Geschäftsführer

Kein Wiedereinstieg in die Atomkraft

Die Ankündigungen der Union bezüglich eines Wiedereinstiegs in die Atomenergie haben sich endgültig als heiße Luft herausgestellt. Abgeschaltete Atomkraftwerke (AKW) werden nicht reaktiviert, von Forschung an neuen AKW und Mini-Reaktoren (auch SMR genannt) ist ebenso keine Rede mehr. Dies ist positiv zu bewerten – nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch, weil damit die Menge des Atommülls begrenzt bleibt.

Obwohl in den Entwürfen der Arbeitsgruppen noch Absätze zur Endlagerung und Zwischenlagerung von Atommüll enthalten waren, haben es diese Passagen nicht in die finale Fassung des Koalitionsvertrags geschafft. Wir fordern deshalb, dass die Sicherheit der Atommülllagerung einen gebührenden Stellenwert bekommt. Die neue Bundesregierung muss sich zudem für mehr nukleare Sicherheit durch einen weltweiten Atomausstieg einsetzen und die Fertigung von Brennelementen sowie die Anreicherung von Uran in Deutschland beenden.

Dr. Hauke Doerk, Referent für Atompolitik

Die Energiewende wird eingebremst

Unter der neuen schwarz-roten Regierung gerät die Energiewende unter Druck. Zwar bekennt sich die Koalition zum weiteren Ausbau der Erneuerbaren und einer Stärkung der Bürger:innenenergie, insgesamt dominieren allerdings bremsende und rückwärtsgewandte Töne. Statt eines ambitionierten Ausbauziels für grünen Strom, wie es noch die Ampelregierung mit 80 Prozent bis 2030 gefordert hat, soll der Ausbau nun dem Strombedarf folgen. Werden also E-Mobilität und Wärmewende weiter verschlafen, droht die Energiewende in einer Negativspirale ausgebremst zu werden.

Zudem hält die neue Regierung an der klimaschädlichsten Form der Stromerzeugung, der Kohleverstromung, noch bis 2038 fest. Die Ampel wollte einen vorgezogenen Ausstieg im Jahr 2030 wenigstens prüfen. Außerdem sollen für die Versorgungssicherheit 20 Gigawatt neue Gaskraftwerke gebaut werden. Anstatt auf die günstigeren Alternativen der Flexibilisierung und Energieeffizienz zu setzen, droht hier auf lange Sicht ein Festhalten an fossilem Erdgas. Denn grüner Wasserstoff ist in den benötigten Mengen nicht in Sicht. Kritisch zu sehen ist auch die geplante Subventionierung des Strompreises. Damit die Energiewende gelingt, muss Strom nicht billig, sondern (fossiles) Gas teurer werden. Das würde Anreize für Elektrifizierung und Energiesparen setzen. Gerade die Industrie soll aber offenbar einen besonders günstigen, das heißt durch alle Bürger:innen subventionierten, „Industriestrompreis“ erhalten – offenbar nicht einmal verbunden mit der Pflicht, Energieverschwendung abzustellen.

Dr. Leonard Burtscher, Referent für Energie- und Klimapolitik

Verpasste Chance für die Wärmewende

Trotz Lippenbekenntnis zur Einhaltung der Klimaziele plant die Koalition die Nutzung von Erdgas zu verlängern, beispielsweise durch den Bau neuer Gaskraftwerke und die Erschließung neuer Erdgasquellen in Deutschland. Besonders kritisch ist die angekündigte Abschaffung des sogenannten Heizungsgesetzes. Es steht zu befürchten, dass die Fristen für den Einbau fossiler Heizsysteme unter dem Deckmantel der „Technologieoffenheit“ aufgeweicht werden und die Wärmewende damit verzögert wird. Gleichzeitig bekennt sich die Koalition aber zum europäischen Emissionshandel, der ab 2027 auch das Heizen mit Erdgas verteuern wird. Damit ist klar: Die Koalition lässt Gaskund:innen sehenden Auges in eine Kostenfalle laufen, anstatt den Einbau neuer fossiler Heizungen wirkungsvoll zu verhindern.

Positiv ist, dass der Aufbau erneuerbarer Wärmenetze finanziell besser unterstützt werden soll. Außerdem möchte die Koalition für Stadtwerke und Gasnetzbetreiber „zügig“ die Möglichkeit zum schrittweisen Rückzug aus der Gasversorgung schaffen. Das ist ein wichtiger Schritt, für den wir uns als Umweltinstitut in den letzten Wochen eingesetzt haben.

Till Irmisch, Referent für Energie und kommunale Klimawende

Pestizide als Notwendigkeit? Agrarwende in weiter Ferne 

Mit diesem Koalitionsvertrag rückt die dringend notwendige Agrarwende in weite Ferne. Die Koalitionsparteien bezeichnen Pestizide als „wichtiges Instrument” und betonen damit die angebliche Notwendigkeit von chemisch-synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft. Ein Totalverbot von besonders gefährlichen Stoffen, wie per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), lehnen sie ab.

Um die schädlichen Auswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt, insbesondere die Artenvielfalt, und die Gesundheit scheint sich die neue Bundesregierung nur wenig Gedanken zu machen. Im Koalitionsvertrag steht vielmehr: „Gleichzeitig reduzieren wir den Umfang und das Risiko beim Pflanzenschutzmitteleinsatz, unter anderem durch Anreize für die Präzisionslandwirtschaft und integrierten Pflanzenschutz.” Um die Gesundheit der Menschen zu schützen und das Artensterben aufzuhalten, setzt die neue Bundesregierung also auf Anreize statt auf konkrete Vorgaben für die Bäuerinnen und Bauern. Ein Bekenntnis zur Pestizidreduktion sowie verbindliche Reduktionsziele und -pläne fehlen. Leider hat die Vergangenheit bereits gezeigt, dass auf freiwilliger Basis nicht viel passiert. Auch das Zulassungsverfahren für Pestizide soll weiter beschleunigt statt, wie von uns gefordert, verschärft werden.

Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft

Ökolandbau – schmales Lippenbekenntnis ohne klare Zielsetzungen

Mit genau vier Sätzen widmet sich die neue Regierung der ökologischen Landwirtschaft im Koalitionsvertrag. Und gleich mit ihrer ersten Aussage schwindet jegliche Hoffnung auf eine mutige Politik, die den Wandel in der Landwirtschaft für mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz entschieden vorantreibt: „Für uns sind konventionelle und ökologische Landwirtschaft gleichwertige Bewirtschaftungsformen“. Immerhin erkennt die neue Regierung an, dass der Ökolandbau „ein wichtiges Element einer nachhaltigen klimaschonenden Landwirtschaft“ ist und verspricht, die Mittel für das Bundesprogramm Ökologischer Landbau zu erhöhen. Das Ziel der Vorgängerregierung, die ökologisch bewirtschaftete Fläche in Deutschland bis 2030 auf 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche zu erhöhen, scheint vom Tisch zu sein. Dabei kann die Produktion von Bio-Lebensmitteln die steigende Nachfrage in der Bevölkerung schon jetzt nicht mehr zuverlässig decken, erst Anfang des Jahres wurde vor Engpässen bei Bio-Rohstoffen gewarnt. Doch damit Bäuerinnen und Bauern den Schritt wagen, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen, braucht es neben finanzieller Unterstützung vor allem Planungssicherheit durch eine klare und langfristige politische Strategie. Im Koalitionsvertrag sucht man vergeblich danach.

Verena Schmitt, Referentin für Landwirtschaft 

Handelspolitik auf Kosten von Mensch und Umwelt

Die Handelspolitik der neuen Bundesregierung ist sozial und ökologisch unverantwortlich. Statt auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Menschenrechte zu setzen, wird ein aus der Zeit gefallenes Freihandelsmodell bedient. Abkommen wie EU-Mercosur und EU-Mexiko gefährden Ökosysteme, fördern industrielle Landwirtschaft und verletzen die Rechte lokaler Gemeinschaften. Gleichzeitig werden durch Abkommen mit Singapur und Vietnam neue Investitionsschutzklagerechte etabliert, die demokratische Spielräume massiv einschränken. Mit einer Trump-Administration in den USA ein transatlantisches Freihandelsabkommen überhaupt in Erwägung zu ziehen, zeugt von Naivität und Planlosigkeit.

Zugleich diffamiert die Regierung wichtige Instrumente der europäischen Nachhaltigkeitspolitik als bürokratische Belastung: von der Entwaldungsverordnung über das Lieferkettengesetz bis hin zum CO₂-Grenzausgleichsmechanismus. Dabei sind genau diese Regelwerke entscheidend, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und eine erfolgreiche Klimapolitik zu betreiben. Diese Handelspolitik gefährdet Klima- und Biodiversitätsziele, schwächt Menschenrechte und untergräbt demokratische Kontrolle.

Ludwig Essig, Referent für Handelspolitik

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