Fliegt sie, oder fliegt sie nicht?

Diese Frage beschäftigte tagelang Journalist:innen, Politiker:innen und auch uns beim Umweltinstitut. Gemeint ist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die bis zuletzt offen ließ, ob sie zum Mercosur-Gipfel nach Montevideo, Uruguay, reisen würde. Das große Interesse an dieser Reise hing unmittelbar mit der Frage zusammen, ob es bei dem Gipfel zu einer Einigung über einen Vertrag kommen würde, über den die EU schon seit einem Vierteljahrhundert mit den Mercosur-Staaten verhandelt. Schließlich flog sie – und verkündete in einer feierlichen Zeremonie zusammen mit den Präsidenten Argentiniens, Brasiliens, Uruguays und Paraguays den Abschluss der Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen.

Kontrast zwischen dichtem Wald und gerodeter Fläche mit Rauch und einem Bagger.

Vorgetäuschte Einigkeit

Die am 6. Dezember abgeschlossenen Verhandlungen wurden als großer Durchbruch gefeiert. Doch von echter Einigkeit kann keine Rede sein: Von der Leyen verkündete in Uruguay euphorisch den Verhandlungserfolg trotz der Tatsache, dass Länder wie Frankreich, Österreich, die Niederlande, Belgien, Polen und Italien erhebliche Bedenken oder gar eine klare Ablehnung des Abkommens geäußert haben.

Doch damit nicht genug: Um den Widerstand der nationalen Parlamente zu umgehen, plant die EU-Kommission, diese erst gar nicht in den Ratifizierungsprozess einzubeziehen. Dafür wäre sogar eine Änderung des Verhandlungsmandats notwendig – ein fragwürdiger Schachzug, der nicht nur die Legitimation des Vertrags, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie untergräbt. Besonders problematisch: Während der Handelsteil vorab in Kraft treten könnte, würden zentrale politische Kooperationspunkte wie Vereinbarungen zu Menschenrechten von der Zustimmung der Parlamente abhängig bleiben – und somit ins Leere laufen.

Was wir wissen

Das Abkommen ist bereits seit vielen Jahren umstritten, weil es den Handel mit Produkten fördert, die den Druck auf die Artenvielfalt, das Klima,die Menschenrechte in Lateinamerika und die bäuerliche Landwirtschaft in Europa verstärken. So sollen die EU-Staaten mehr Futtermittel und Fleisch aus Lateinamerika importieren, was dazu führen dürfte, dass noch mehr Regenwald zerstört wird und indigene Bevölkerungsgruppen ihre Heimat verlieren. Viele Landwirt:innen in Europa befürchten zudem, durch Billigimporte aus Lateinamerika zukünftig auf ihren Produkten sitzen zu bleiben. Umgekehrt sollen die Mercosur-Staaten mehr Chemikalien und Verbrenner-Autos aus Europa importieren.

Durch Last-Minute-Ergänzungen sollten die negativen Folgen noch ein wenig abgedämpft werden. Am Dienstag wurde ein Großteil der neuen Vertragstexte offengelegt. Noch immer nicht öffentlich ist der Teil des Abkommens zur politischen Kooperation. Auch wenn wir noch nicht alles im Detail studieren konnten, lassen sich einige wichtige Punkte zu den letzten Änderungen bereits festhalten:

  • Regulatorische Kooperation: Eine Idee, die noch aus den TTIP-Verhandlungen bekannt ist, kehrt zurück. Ein sogenannter „Rebalancing-Mechanismus“ soll ein Gremium einsetzen, das bei Streitpunkten zu Fragen der Nachhaltigkeit eine einvernehmliche Lösung findet. Dabei können einseitige Nachhaltigkeitsmaßnahmen angegriffen werden. Wer in diesem Gremium sitzt und was genau verhandelt wird, bleibt jedoch unklar.
  • Zölle auf Elektro- und Hybridfahrzeuge: Diese sollen nun über 18 statt 15 Jahre schrittweise abgebaut werden. Im Gegenzug sinken die Zölle ab Tag eins auf 25 Prozent (statt ursprünglich 35 Prozent).
  • Öffentliche Beschaffung: Die EU erhält erweiterten Marktzugang im öffentlichen Beschaffungswesen, während Brasilien mehr Flexibilität im Gesundheitswesen erhält.
  • Klimaschutz: Das Pariser Klimaabkommen soll als „essentielles Element“ in den Vertrag aufgenommen werden.
  • Waldschutz: Hier wurde kein nennenswerter Fortschritt erzielt. Es bleibt lediglich bei einer Absichtserklärung, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen.

Wie geht es weiter?

Nach dem Abschluss der Verhandlungen folgt das sogenannte „Legal Scrubbing“ – der juristische Feinschliff des Abkommens. Anschließend wird der Vertragstext in alle Amtssprachen der beteiligten Staaten übersetzt, wodurch die Voraussetzungen für den Ratifizierungsprozess geschaffen werden. Der erste Schritt ist die Unterzeichnung durch den Rat der Europäischen Union (Ministerrat), wofür eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Danach entscheidet das Europäische Parlament über seine Zustimmung zum Vertrag. Die EU-Kommission strebt an, diesen Prozess bis Juni kommenden Jahres abzuschließen. Das Ziel ist ehrgeizig, aber nicht unrealistisch – wäre da nicht der Widerstand der organisierten Zivilgesellschaft und mehrerer EU-Mitgliedstaaten.

Denn bleiben Staaten wie Frankreich, Österreich oder die Niederlande bei ihrem „Nein“, könnten sie eine Sperrminorität im Ministerrat bilden und das Abkommen blockieren. In den kommenden Wochen und Monaten werden wir mit unseren Partnerorganisationen daher den Druck aufrechterhalten. Ziel ist es, möglichst viele Staaten und Abgeordnete dazu zu bringen, ihre Stimme gegen ein Abkommen zu erheben, das nachhaltige Landwirtschaft, Natur- und Klimaschutz, Menschenrechte sowie Verbraucher:innen gleichermaßen gefährdet.

Webinar am 17. Dezember


Am Dienstag, den 17. Dezember um 18:00 Uhr informieren wir in einem Webinar gemeinsam mit anderen  Organisationen über die nächsten Schritte und wie der weitere Protest gegen das Abkommen aussehen kann. Dazu laden wir  Sie herzlich ein! Sehen wir uns? Hier geht’s zur Einwahl per Zoom am 17.12.2024

 

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