Pestizidanwendungen – Warum Transparenz notwendig ist

Niemand weiß, welche Pestizide in Deutschland wo ausgebracht werden – Wissenschaftler:innen, Umweltschutzorganisationen und Bürger:innen tappen im Dunkeln.

Informationen über Pestizideinsätze? Fehlanzeige!

Aktuell weiß niemand, welche Pestizide wann, wo und in welchen Mengen in unserer Umwelt landen. Das Paradoxe: Die Informationen liegen eigentlich vor, aber sie werden von den Behörden nicht erfasst. Dabei wäre umfassende Pestizidtransparenz eine essentielle Grundlage für wirksame Pestizidreduktion!

Pestizid-Anwendungsdaten:
Der Status Quo

Die aktuelle politische und rechtliche Lage im Detail

Nur in Einzelfällen gelang es bisher Umweltschutzorganisationen wie uns, Einblick in die Spritzdaten zu erhalten und oftmals gingen dem langwierige rechtlichen Auseinandersetzungen voraus. 2021 bestätigte dann der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, dass der Zugang zu den Pestiziddaten ein „Jedermannsrecht“ ist. Außerdem entschied das Gericht, dass der Verwaltungsaufwand, der den Behörden durch die Datenerfassung entsteht, kein Ablehnungsgrund ist. Dieses Urteil macht deutlich: Es ist höchste Zeit, dass die Aufzeichnungen der Landwirt:innen systematisch erfasst und veröffentlicht werden!

Ab 2026 tritt eine neue EU-Gesetzgebung in Kraft, die vorschreibt, dass Pestizidanwendungen einheitlich elektronisch aufgezeichnet und den Behörden zugänglich gemacht werden müssen. Dies stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber den bisher oft schwer entzifferbaren, handschriftlichen „Spritzbüchern“ dar. Doch trotz der neuen EU-Regel ist weiterhin nicht sicher, ob die Daten im Anschluss von den Behörden auch wirklich umfassend eingefordert und erfasst werden.

Es ist abzusehen, dass es auch mit den neuen EU-Regelung keine umfangreiche und genaue Erfassung und Veröffentlichung geben wird. Vorgeschrieben ist nur, dass die EU-Mitgliedsstaaten eine landesweite Statistik der Pestizidanwendungen nach Brüssel melden müssen. Diese Daten geben somit keinerlei Aufschluss über die  Pestizidbelastung vor Ort. Deswegen fordern wir, dass Deutschland mehr tut, als die EU vorschreibt, um endlich Licht ins Pestizid-Dunkel zu bringen!

Tatsächlich kündigte die Ampel-Regierung 2021 bereits ein „digitales Herkunfts- und Identifikationssystem Nährstoff- und Pflanzenschutz“ an. Doch bislang wurde dieser Punkt nicht umgesetzt und die Formulierung lässt viel Interpretationsspielraum. Und leider gibt es viel Gegenwind aus der Agrarlobby, die Pestiziddaten öffentlich zugänglich zu machen.

Das Umweltinstitut hat Betriebshefte aus Südtirol ausgewertet. Mitarbeiterinnen sichten die Spritzhefte. Im Vordergrund liegt ein Haufen mit Ordnern.

Für das Südtiroler Vinschgau konnten wir Einblick in Pestizid-Einsatzdaten erhalten und damit den hohen Pestizideinsatz im dortigen Apfelanbau auswerten.

Warum ist Transparenz über Pestizideinsätze so wichtig?

Zugang zu Spritzdaten ist ein „Jedermannsrecht“

Was sind Umweltinformationen?

Gemäß der 1998 von 47 Staaten unterzeichneten Aarhus-Konvention muss jeder Person möglichst freier Zugang zu Umweltinformationen gewährleistet werden. Dieses völkerrechtliche Abkommen wird in der EU durch die Umweltinformationsrichtlinie und in Deutschland durch das Umweltinformationsgesetz umgesetzt.

Umweltinformationen sind per Definition alle Informationen über den Zustand von Umweltbestandteilen wie Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Land, Landschaft und natürliche Lebensräume. Außerdem Informationen über Faktoren, die sich auf diese Umweltbestandteile auswirken können. Das beinhaltet das Freisetzen von Stoffen in die Umwelt. Auch Pläne oder Programme, die Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten und viele weitere Informationen gelten als Umweltinformationen.

Eine Statue von Justitia

Juristisch ist die Lage klar: Der Zugang zu den Aufzeichnungen über Pestizideinsätze ist ein "Jedermannsrecht". In der Realität gestaltet es sich bisher jedoch sehr schwierig, die Daten einzusehen.

Die Wissenschaft braucht Zugang zu Daten über Pestizideinsätze

Wissenschaftler:innen warnen seit Langem, dass sie Umwelt- und Gesundheitsrisiken durch Pestizide ohne präzise Daten über deren Einsatz in der landwirtschaftlichen Praxis nicht realistisch erforschen und bewerten können. Langfristige und möglicherweise indirekte Auswirkungen von Pestiziden werden im Zulassungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt, da sie in Laborversuchen nicht erfasst werden können. Um solche Effekte zumindest nach der Zulassung besser einschätzen zu können, ist der Zugang zu den Einsatzdaten entscheidend. Ohne Informationen über die lokale Pestizidausbringung lassen sich beispielsweise gefährliche „Cocktaileffekte“, die beim Zusammentreffen verschiedener Pestizidwirkstoffe entstehen können, schwer beurteilen oder untersuchen. Für fundierte Risikoanalysen ist daher ein umfassender Zugang zu den Anwendungsdaten dringend erforderlich.

Der Zugang zu Anwendungsdaten dient auch dem Arbeitsschutz von Landwirt:innen und landwirtschaftlichen Arbeiter:innen selbst, denn sie sind die ersten, die von krankmachenden Pestiziden geschädigt werden: Beim Hantieren mit den Mitteln, der Ausbringung und danach bei weiteren Arbeiten in der Kultur oder der Ernte. Erst kürzlich wurde in Deutschland Parkinson durch Pestizide als Berufskrankheit anerkannt – unter anderem auf Grundlage von kalifornischen Anwendungsdaten, mit denen eine Zusammenhang zwischen der Pestizidexposition und Parkinson-Erkrankungen belegt werden konnte.

Stimmen aus der Wissenschaft

Wir haben renommierte Wissenschaftler:innen aus Umwelt- und Gesundheitsforschung befragt, was sie von der aktuellen Intransparenz bei Pestizidanwendungen halten:

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Trinkwasserschutz

Auch Wasserversorger müssen über Pestizidanwendungen genau Bescheid wissen, um die Qualität des Trinkwassers zu sichern, denn Pestizide und ihre Abbauprodukte reichern sich im Grund- und Oberflächenwasser an. Bei der letzten bundesweiten Erhebung wurden an 18,8 Prozent der untersuchten Stellen Pestizidrückstände im Grundwasser nachgewiesen. An 3,8 Prozent der Messstellen überstiegen sie sogar den geltenden Grenzwert.

Solange Wasserversorger nicht wissen, welche Pestizide in einem bestimmten Gebiet ausgebracht wurden, müssen sie nach der Nadel im Heuhaufen suchen – auf Kosten der der Wasserkund:innen. Wenn sie Zugriff auf die Pestizid-Anwendungsdaten hätten, könnten sie gezielter nach Rückständen suchen und entsprechende Schutzmaßnahmen treffen, bzw. die Bevölkerung über Gesundheitsrisiken informieren.

Ohne Pestizidtransparenz keine echte Pestizidreduktion

Reduktionsziele wie das der EU-Farm-to-Fork-Strategie, den Pestizideinsatz bis 2030 zu halbieren, bleiben zwangsläufig leere Versprechungen, wenn keine Informationen über die Ausgangslage vorliegen. Ein Erfolg oder Misserfolg ist dann schlichtweg nicht messbar!

Unsere Vision für Pestizidtransparenz in Deutschland

Unsere Vision: Ein öffentlich einsehbares, leicht bedienbares Online-Kartentool, mit dem jede:r Bürger:in die Pestizideinsätze in der eigenen Nachbarschaft mit wenigen Klicks einsehen kann. So ähnlich gibt es das bereits seit langem in Kalifornien.

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