Neues Rechtsgutachten:
Energiecharta-Vertrag verstößt gegen Unionsrecht
Ein dreißig Jahre alter Vertrag zementiert Europas Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas: Der Energiecharta-Vertrag (ECT) ermöglicht fossilen Konzernen, gegen die Energiewende zu klagen und schränkt damit den Handlungsspielraum der Regierungen ein. Ein neues Rechtsgutachten im Auftrag des Umweltinstituts München zeigt nun: Der ECT ist nicht nur klimaschädlich und teuer, sondern verstößt auch gegen Unionsrecht. Auch die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen kann dem Gutachten zufolge wirksam angefochten werden. Das Umweltinstitut fordert, dass die Bundesregierung sofort aus dem ECT aussteigt und im EU-Rat gegen die Ratifizierung des modernisierten Vertragstextes stimmt.
Das Gutachten der für Umwelt- und Staatsrecht international renommierten Kanzlei Günther befasst sich mit der Frage, ob der ECT und dessen Schiedsgerichte mit den Verträgen der EU vereinbar sind. Es kommt zu dem Ergebnis, dass der ECT weder mit der Autonomie des Rechtssystems der EU noch mit ihrer Regulierungsautonomie vereinbar ist – und dass nicht nur Intra-EU-Schiedsverfahren illegal sind, wie vom EuGH bereits festgestellt, sondern auch Extra-EU-Schiedsverfahren. Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Gutachtens betrifft die Vollstreckbarkeit von ECT-Schiedssprüchen in EU-Staaten: Diese sind demnach dazu verpflichtet, die Vollstreckung zu unterbinden.
Die Ergebnisse des Gutachtens im Einzelnen:
- Schiedsverfahren des ECT verstoßen gegen die Autonomie des Unionsrechts – auch bei Extra-EU-Verfahren. Sie sind damit unwirksam. Das heißt, dass Klagen zwischen einem Mitgliedsland der EU und einem Land außerhalb der EU ebenfalls illegal sind. Genau solche Klagen ermöglicht oftmals der ECT.
- Sollte ein Schiedsgericht einen EU-Staat dazu verurteilen, Schadensersatz zu zahlen, muss der Schiedsspruch in der EU nicht vollstreckt werden. Gerichte der Mitgliedsstaaten sind bereits nach der geltenden Rechtslage in der Pflicht, die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in der EU zu unterbinden.
- Die Schiedsgerichte selbst sind nicht an EU-Recht gebunden und werden diese Unionsrechtswidrigkeit daher wohl auch weiterhin ignorieren. Die Regierungen der Europäischen Union sind daher gut beraten, den Vertrag zu kündigen, so die Jurist:innen.Als Konsequenz aus dem Gutachten empfehlen die Jurist:innen vor dem EuGH eine Nichtigkeits-, bzw. Untätigkeitsklage auf Austritt anzustrengen. Dies könnte verhindern, dass Schiedssprüche innerhalb der EU vollstreckt werden und gleichzeitig die sogenannte Sunset-Klausel aufheben. Sie besagt, dass der Investorenschutz weitere 20 Jahre lang gilt, selbst wenn ein Land aus dem ECT austritt. Außerdem fordern die Gutachter:innen, das ICSID-Verfahren grundsätzlich zu überprüfen.
„Gerade in Zeiten von Energie- und Klimakrise müssen Regierungen ihre Handlungsfähigkeit zurückerlangen. Eine Paralleljustiz mit Sonderklagerechten für Großinvestoren stehen dem Klimaschutz und der Energiewende im Weg, belasten die Demokratie und kosten wichtige Steuermilliarden“, sagt Ludwig Essig, Experte für Handelspolitik am Umweltinstitut. „Das Gutachten belegt: Private Schiedsgerichte ignorieren bisher geltendes europäisches Recht. Deshalb kann es nur eine Konsequenz geben: Die Bundesregierung, die Europäischen Mitgliedsstaaten und die EU sollten deshalb noch in den nächsten Wochen aus dem Energiecharta-Vertrag aussteigen. Nach Italien verkündeten nun auch Polen, Spanien und die Niederlande, dass sie aus Klimaschutz- und Demokratiegründen den ECT kündigen werden. Damit gehen auch Deutschland und anderen Länder die Argumente aus. Wir fordern: einfach nachmachen!“
Klimakiller ECT
Die Investor-Staat-Schiedsgerichte (ISDS) schützen fossile Brennstoffe in Höhe von etwa 340 Milliarden US-Dollar. Der Vertrag über die Energiecharta und das ISDS blockieren Maßnahmen, die notwendig sind, um die Klimaziele von Paris zu erreichen, dies stellt auch der Bericht des Weltklimarats (IPCC) 2022 fest. Darüber hinaus belastet der ECT die öffentlichen Haushalte, behindert und verteuert die Regulierung des Energiemarktes.
Welche Folgen der ECT haben kann, zeigt das Beispiel Italien: Am 24. August wurde Italien von einem privaten Schiedsgericht zur Zahlung von mehr als 250 Millionen Euro an das Öl- und Gasunternehmen Rockhopper Explorations verurteilt. Das Land hatte 2015 Ölbohrungen in Gewässern vor der Küste verboten. Die Klage war nur aufgrund der sogenannten Sunset-, oder Zombie-Klausel möglich. Denn Italien war bereits 2016 aus dem Vertrag ausgestiegen. Doch dank dieser Klausel sind Klagen noch 20 Jahre nach dem offiziellen Ausstieg in Bezug auf bis dahin getätigte Investitionen möglich. Das Urteil erfolgte nur wenige Wochen, nachdem sich die Vertragsstaaten auf einen leicht modernisierten Vertragsentwurf zum ECT geeinigt hatten. Bereits vor dem Start der Modernisierungsverhandlungen kritisierte das Umweltinstitut diese als kosmetische Behandlung. In einem neuen Briefing legte das Umweltinstitut dar, dass auch der modernisierte Vertragstext eine Gefahr für die Energiewende darstellt. Bereits seit vielen Jahren setzt sich das Umweltinstitut München gegen diese Paralleljustiz ein. So konnte schon 2018 mit einem Rechtsgutachten nachgewiesen werden, dass Investitionsschutzklagen innerhalb der EU gegen europäisches Recht verstoßen. 2021 urteilte dann der Europäische Gerichtshof: Die Schiedsgerichtsklausel des ECT ist in innereuropäischen Verfahren illegal.