EU-Mercosur: Gift für beide Seiten des Atlantiks
Mitte März fanden die Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage statt, eines der größten Lobby-Events für Unternehmen, die für den Klimawandel verantwortlich sind. Die deutsche Automobil- und Chemieindustrie spielte eine prominente Rolle bei dieser Veranstaltung, bei der sich auch Robert Habeck und Cem Özdemir für den Abschluss des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens einsetzten. Zusammen versuchten sie, dem veralteten Vertrag einen grünen Anstrich zu geben. Doch das Schauspiel flog schnell auf: Nur eine Woche später wurde die Zusatzerklärung geleakt, mit der sie uns den Giftvertrag als Regenwaldretter verkaufen wollten.
Ludwig Essig · 4 Minuten
Seit über 20 Jahren wird verhandelt
Obwohl sich seit 1999, als die EU gemeinsam mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay das Mercosur-Abkommen beschloss, viel verändert hat – einschließlich der Einführung des Euro als Währung in Deutschland – hat sich das EU-Mercosur-Abkommen kaum verändert. Die Verhandlungen dauerten über 20 Jahre und führten erst 2019 zu einem politischen Abschluss. Zu diesem Zeitpunkt war die Abholzung im Amazonas-Regenwald auf ein historisches Hoch gestiegen, da bereits über 9.000 Quadratkilometer des Regenwalds zerstört worden waren. Trotz des politischen Abschlusses war die Ratifizierung des Abkommens in weiter Ferne, insbesondere aufgrund der Herrschaft des rechtsextremen Jair Messia Bolsonaro. Doch nach der Wahl des neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva atmeten viele Bäuerinnen und Bauern, Menschenrechtsaktivist:innen und Klimaschützer:innen auf. Endlich bestand wieder eine Chance auf den Erhalt des Amazonas, eine verlässliche Partnerschaft in den Bereichen Menschenrechte, Arten- und Klimaschutz sowie auf die Transformation unseres Wirtschaftens. Leider wird diese Hoffnung durch den EU-Mercosur-Deal bereits im Keim erstickt.
Und tatsächlich trägt das EU-Mercosur-Abkommen durch den Handel mit genmanipuliertem Soja, giftigen Pestiziden, Rindfleisch und Bioethanol durch Quoten und ein grundsätzliches Verbot von Steuern und Abgaben auf Exporte zur weiteren Zerstörung wertvoller Ökosysteme bei und verletzt die Rechte indigener Bevölkerungen. Mit dem Inkrafttreten des Abkommens wird sich der Import von Hühner- und Rindfleisch aus den Mercosur-Staaten in die EU verdoppeln. Doch bereits heute produziert Deutschland Überkapazitäten an Fleisch. Der Import von Rohrzucker wird um das 74-fache ansteigen und auch der Import von Bioethanol wird sich versechsfachen. All dies führt auf dem europäischen Markt zu Preisdumping, dem Sterben weiterer Bauernhöfe, sinkender Qualität und im Amazonaswald zur Vernichtung riesiger zusätzlicher Flächen. Denn über 60 Prozent der abgeholzten Flächen im Amazonasgebiet gehen auf die Weidehaltung zurück. Zwar gilt in der EU eine Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten, doch für genau jene Waren (Mais, Rohrzucker, Reis, Geflügel, Bioethanol, etc.), die durch das EU-Mercosur gefördert werden, greift diese nicht.
Durch die Genehmigung des Exports von Pestiziden und Verbrenner-SUVs, die hier in Europa bald nicht mehr zugelassen sind, behindern wir in Lateinamerika die Verkehrs- und Agrarwende und gefährden die Gesundheit der Menschen. Greenpeace-Recherchen zeigen, dass der Export von Pestiziden, die hier aus gutem Grund keine Zulassung haben, dazu führt, dass wir mit belasteten Produkten wie Mangos, Limetten, Melonen, Papayas, Trauben und Feigen aus Brasilien überschwemmt werden. Denn durch die Abschaffung der Zölle auf Pestizide wird es zu einem noch höheren Einsatz dieser gefährlichen Chemikalien kommen. Allein die Tatsache, dass die EU den Export gesundheits- und umweltschädlicher Pestizide erlaubt, die bei uns verboten sind, zeigt das kranke Verständnis einer rücksichtslosen Außenwirtschaftspolitik gnadenlos auf.
Mit allen Tricks zum Giftvertrag
Weil der Widerstand gegen das Abkommen immer größer wird und die EU-Kommission aus TTIP und CETA gelernt hat, versucht sie jetzt durch zwei Tricks das Abkommen schnell zum Abschluss zu bringen. Zum einen strengt sich die Kommission – unter Mithilfe Deutschlands – an, das Abkommen in ein möglichst grünes Licht zu stellen. Dafür soll dem Giftvertag ein “Beipackzettel”, eine Zusatzerklärung angehängt werden. Die juristische Wirksamkeit ist jedoch stark angezweifelt, da sie den Kern des Abkommens nicht ändert. Der zweite Trick ist ein demokratiepolitischer Skandal: Um das Abkommen in Kraft zu setzen, bedarf es wegen seiner politischer Teile Einstimmigkeit unter den EU-Staaten. Einige Länder wie Österreich, Frankreich oder die Niederlande haben jedoch große Bedenken. Daher will die EU-Kommission das Abkommen aufsplitten. So kann der Handelsteil schnell und ohne Einbeziehung der Parlamente in Kraft treten und der politische Teil würde dann vielleicht niemals beschlossen. Das ist unter anderem auch deswegen problematisch, weil sich zum Beispiel Vertragsklauseln zu Menschenrechten überhaupt nur im politischen Teil finden.
Mercosur-Files: Leak deckt Greenwashing auf
Wir befürchteten bereits, dass der Text der Zusatzerklärung nicht halten würde, was die EU-Kommission versprach. Denn er wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt und sollte geheim bleiben, bis er beschlossen ist. Laut Politico wurden die Vorschläge den Vertreter:innen der Mitgliedsländer lediglich zur Ansicht vorgelegt und anschließend wieder eingesammelt mit dem Hinweis, dass diese Dokumente keinesfalls an die Öffentlichkeit geraten dürfen. Jetzt wurde der Text jedoch geleakt und liegt öffentlich vor. Eine Analyse zeigt, dass das Zusatzdokument keine Maßnahmen zur Reduzierung der klimaschädlichen Auswirkungen des Deals beinhaltet. Auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Polizeigewalt, Femiziden und Folter suchen wir vergebens. Und während der Wille zur Verringerung der Abholzung ausgedrückt wird, halten die Partner an den EU-Importen wie Soja und Geflügel fest, die massiv zur Entwaldung beitragen.
Bleiben wir also wachsam – lassen wir uns den Giftvertrag nicht als Regenwaldretter verkaufen!