Der Südtiroler Pestizidprozess

Vor über fünf Jahren mussten wir uns im Umweltinstitut plötzlich wegen unserer Aufklärungsarbeit über Umweltbelastungen in einem Strafgerichtsverfahren verteidigen. Unser Verbrechen? Wir hatten den hohen Pestizideinsatz im Südtiroler Apfelanbau kritisiert und auf die negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt und die Gesundheit der Menschen hingewiesen. Diese berechtigte Kritik war der Südtiroler Obstlobby ein Dorn im Auge: Der dortige Landesrat für Landwirtschaft (entspricht in Deutschland dem Amt des Landwirtschaftsministers) erstattete Strafanzeige wegen angeblicher „übler Nachrede“ – und brachte über 1.300 Apfelbäuerinnen und Apfelbauern dazu, sich seiner Anzeige anzuschließen. Daraufhin erhob die Staatsanwaltschaft Bozen tatsächlich Anklage und es kam zu einem kräftezehrenden Gerichtsprozess, der sich über Jahre hinzog.

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Unser ehemaliger Referent für Landwirtschaft Karl Bär (r.) im sogenannten „Südtiroler Pestizidprozess“, links sein Strafverteidiger Nicola Canestrini.

SLAPP back: Wir wehren und verbünden uns!

Wir begriffen: Uns nur gegen unseren „eigenen SLAPP“ zu wehren, reichte nicht. Gemeinsam mit CASE kämpften wir deshalb für eine europäische Anti-SLAPP-Richtlinie und gründeten darüber hinaus einen Austausch mit anderen Betroffenen aus Deutschland. Gemeinsam mit unseren neuen Verbündeten wandten wir uns auch an die deutsche Politik und forderten im deutschen Recht verankerte Schutzmaßnahmen vor SLAPPs. Doch immer wieder hörten wir, SLAPPs seien für die Menschen in Deutschland kein Problem. Schließlich herrsche hier Demokratie und Meinungsfreiheit – und das Justizsystem sei so gut, die Gerichte so unabhängig, dass Rechtsmissbrauch quasi ausgeschlossen sei. Wir und unsere Verbündeten wussten jedoch: Das stimmte nicht!

Der lange Weg zur SLAPP-Studie

Die Ergebnisse der SLAPP-Studie

Für unsere Studie führte Prof. Egidy erstmals eine themenunabhängige Umfrage unter SLAPP-Betroffenen in Deutschland durch. Sie zeigte, wie vielfältig strategische Einschüchterung in Deutschland stattfindet – etwa durch Klagen, Abmahnungen, Anwaltsschreiben – und wie stark sie Betroffene belastet.

Mit diesen Ergebnissen haben wir nun endlich die Fakten an der Hand, die wir brauchen, um den politischen Entscheidungsträger:innen zu verdeutlichen: Ja, es gibt SLAPPs – auch in Deutschland. Und ja, sie haben reale Konsequenzen, auf die betroffenen Personen und Organisationen, aber auch auf die Zivilgesellschaft als Ganzes und auf den demokratischen Diskurs in Deutschland. Diese Nachricht werden wir so lange an die Politik herantragen, bis endlich auch im deutschen Gesetz wirksame und umfangreiche Schutzmaßnahmen vor SLAPPs verankert sind.

Die Studienergebnisse

Sie können die Studie in vollem Umfang hier nachlesen. Eine Auswahl der zentralen Ergebnisse:

  • Betroffen von SLAPPs sind Menschen und Organisationen, die aus Sicht der Kläger:innen unerwünschte öffentliche Beiträge leisten – etwa Journalist:innen, Medienschaffende, Wissenschaftler:innen, Künstler:innen, Gewerkschaften, Aktivist:innen, Whistleblower:innen oder NGOs.
  • Fast die Hälfte der SLAPP-Betroffenen sind Journalist:innen (44 Prozent), gefolgt von Redakteur:innen (16 Prozent) und Wissenschaftler:innen (10 Prozent).
  • Anlässe für SLAPPS waren vielfältige Formen öffentlicher Beteiligung, darunter investigativer Journalismus, Kritik an politischen, staatlichen und unternehmerischen Aktivitäten (insbesondere Berichte über Korruption, Rechtsverstöße, Diskriminierung, umweltschädliches Handeln und kriminelle Vorgänge), politische und wissenschaftliche Tätigkeit und der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Ereignissen.
  • Häufig werden zur Abschreckung hohe Streitwerte zwischen 100.000 und 500.000 Euro angesetzt.
  • 87 Prozent der Betroffenen berichten, infolge der Einschüchterung unter psychischer Belastung zu leiden.
  • Gut ein Drittel der Befragten gibt an, dass sie durch SLAPPs von einer zukünftigen öffentlichen Beteiligung abgeschreckt würden.
  • Gefordert werden staatliche Schutzmechanismen, die zum Teil auch über die Anforderungen der europäischen Anti-SLAPP-Richtlinie hinausgehen, darunter beschleunigte Verfahren, Erstattung von Verfahrenskosten und Beratungsangebote für Betroffene.

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