„Die Gasindustrie ist aufs Engste mit der deutschen Politik verflochten“
Im Interview erklärt Christina Deckwirth von Lobbycontrol die Hintergründe und Strategie der Gaslobby sowie die Rolle des Lobbyverbandes „Zukunft Gas“ – und wieso sie zusammen mit dem Umweltinstitut fordern: „Stadtwerke raus aus der Gaslobby!“
Henning Peters · 6 Minuten Lesezeit
Seit mehreren Monaten fordern wir gemeinsam mit anderen Organisationen deutschlandweit Stadtwerke dazu auf, den Lobbyverband „Zukunft Gas“ zu verlassen. Und das mit Erfolg: Bereits 24 Stadtwerke haben im Laufe der letzten zwölf Monate ihren Austritt verkündet. Darauf bauen wir auf und wollen den Druck auf die verbliebenen Mitglieder in den kommenden Wochen mit Aktionen vor Ort weiter erhöhen. So können wir „Zukunft Gas“ als wichtigen Akteur der deutschen Gaslobby effektiv schwächen.
Doch was genau hat es mit der Gaslobby – einem der mächtigsten Gegner der Energiewende in Deutschland – eigentlich auf sich? Wir haben darüber mit Christina Deckwirth von Lobbycontrol gesprochen, die Anfang des Jahres eine Studie zur Macht der Gaslobby in Deutschland veröffentlicht hat. Im Interview erklärt die Politikwissenschaftlerin die Hintergründe und Strategie der Gaslobby sowie die Rolle von „Zukunft Gas“ und ordnet die Erfolge der aktuellen Kampagne ein.
Wie viele Stadtwerke sind derzeit Mitglied beim Lobbyverband „Zukunft Gas” und wie profitiert der Verband davon?
Mittlerweile sind noch rund 77 Stadtwerke und kommunale Gasversorger Mitglied bei Zukunft Gas. Noch im letzten Jahr waren es rund 100 Mitglieder. Die Mitgliedschaft hat mehrere Vorteile für den Verband: Zum einen profitiert Zukunft Gas vom guten Ruf der Stadtwerke und kann damit werben, dass es diese auch mit vertritt. Damit wird teilweise verdeckt, dass der Verband weitgehend von großen Gaskonzernen wie Shell oder Wintershall dominiert ist.
Zum anderen bekommt der Verband über die Mitgliedschaft der Stadtwerke einen direkten Zugriff auf die Akteure, die vor Ort darüber mitentscheiden, ob sich eine Kommune weiterhin auf Gas oder auch andere Energieträger ausrichtet. Das ist für einen Gaslobby-Verband natürlich sehr interessant. Schließlich geht es hier um Milliardengewinne fossiler Großkonzerne.
Was sind gesellschaftlichen Folgen der Zukunft-Gas-Mitgliedschaften der Stadtwerke?
Zukunft Gas spannt die Stadtwerke vor den eigenen Lobby-Karren. Das heißt: Der Verband bindet die Stadtwerke ein, um ihnen gegenüber seine Lobbybotschaften zu verbreiten, dass die Stadtwerke weiterhin auf Gas setzen sollten – auch beim Heizen. Dazu dient vor allem die Erzählung, dass Wasserstoff nun einfach das Erdgas ersetzen könnte.
Das ist aus Expertensicht wenig sinnvoll, weil wirklich klimafreundlicher Wasserstoff lange noch sehr teuer sein wird und in anderen Bereichen, wie vor allem der Industrie, sehr viel dringender gebraucht wird. Außerdem ist das Heizen mit Wasserstoff sehr ineffizient. Die einseitige Fokussierung auf Wasserstoff verzögert so eine klare Ausrichtung auf eine nachhaltige und zukunftsfähige Wärmeversorgung mit Fernwärmenetzen und Wärmepumpen. Das wiederum wird mittelfristig sehr teuer für die Kommunen und die Verbraucher:innen und ist natürlich auch schädlich für das Klima.
Welche Rolle spielt das Geschäft mit Wasserstoff für die Gaslobby in Deutschland?
Wasserstoff wird von der Gasindustrie als die klimafreundliche Alternative zu Erdgas angepriesen. Das ist in vielerlei Hinsicht fragwürdig: Klimafreundlich ist nur der tatsächlich aus erneuerbaren Energien hergestellte sogenannte grüne Wasserstoff, alle andere Formen von Wasserstoff basieren auf fossilen Energieträgern und sind daher klimaschädlich.
Außerdem gibt es viele Bereiche, wie vor allem das Heizen in Privathaushalten, die über andere Technologien wie Fernwärme und Wärmepumpen wesentlich effizienter erbracht werden können als durch Wasserstoff. Deswegen lässt sich Erdgas keinesfalls einfach 1:1 durch Wasserstoff ersetzen. Das suggerieren aber die Gasindustrie und ihre Lobbyverbände und stellen damit gleichzeitig in Aussicht, dass auch die entsprechende Infrastruktur einfach weitergenutzt werden kann.
Diese Lobbyerzählungen wurden schon vielfach von Wissenschaftler:innen widerlegt. Trotzdem preist Zukunft Gas Wasserstoff und andere „neue Gase“ immer wieder für eine sehr breite Anwendung an. Das wurde leider auch in der Heizungsdebatte von einigen politischen Akteuren verstärkt aufgegriffen. Das Thema wird uns sicherlich weiterhin begleiten.
Welche Rolle sollten und können Stadtwerke in der aktuellen Energiepolitik einnehmen?
Stadtwerke sind dem Gemeinwohl verpflichtet und müssen sich deshalb vor Ort – im Interessen ihrer Kund:innen, der Kommunen und des Klimas – mit aller Kraft für eine zukunftsfähige Wärme- und Energieversorgung einsetzen. Das ist eine sehr große Aufgabe, die natürlich nicht allein vor Ort gestaltet werden kann, sondern auch eine Rahmensetzung von der Bundesebene braucht ebenso wie ausreichend öffentliche Gelder.
Dafür sollten sich die Stadtwerke einsetzen – als Teil ihrer Unternehmensstrategie vor Ort, aber auch in den Verbänden und gegenüber der Politik. Es geht uns ja nicht darum – wie Zukunft Gas uns gerne unterstellt –, dass Stadtwerke keine Forderungen an die Politik richten sollen. Uns geht es darum, dass sich Stadtwerke auf das Gemeinwohl ausrichten. Dazu passt es eben nicht, sich für die Lobbyarbeit fossiler Geschäftsinteressen einspannen zu lassen.
Wie steht ihr zu den Mitgliedschaften der Stadtwerke in anderen Lobbyverbänden, wie dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) und dem Bundesverband deutscher Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)?
Es ist richtig und wichtig, dass sich Stadtwerke in Branchenverbänden engagieren und sich so gebündelt an die Politik richten. Sie müssen Lobbyakteure für eine zukunftsfähige Wärme- und Energieversorgung in den Kommunen sein. Gerade innerhalb des VKU als dem Lobbyverband der kommunalen Unternehmen sollten sich Stadtwerke im Sinne einer zukunftsfähigen Energie- und Wärmeversorgung einbringen und sich auch gegenüber der Politik äußern. Offenbar gibt es auch innerhalb des VKU unterschiedliche Positionen und kontroverse Debatte. Das ist auch gut so, die Verbände sind ja durchaus Orte, wo Debatten stattfinden müssen.
Uns geht es darum, dass sich Stadtwerke ganz auf das Gemeinwohl ausrichten. Und dazu passt es eben nicht, sich für die Lobbyarbeit fossiler Geschäftsinteressen einbinden zu lassen und Mitgliedsbeiträge an einen Verband zu bezahlen, der sich einseitig auf Gas ausrichtet. Es fällt ja auch auf, dass kaum Stadtwerke Mitglied im Bundesverband Erneuerbare Energien sind, aber eben schon in einem Lobbyverband der Gasindustrie.
Gibt es sonstige Lobbyverstrickungen der Stadtwerke, über die du uns gerne aufklären würdest?
Ja, es gibt nicht nur bei Zukunft Gas eine Plattform, die Stadtwerke speziell zum Thema Wasserstoff einbindet. Die Verbände VKU und der Verband DVGW – ein weiterer großer Gaslobbyverband – haben gemeinsam die Plattform H2vorOrt gegründet. Diese propagiert, dass die Gasverteilnetze der Stadtwerke zukünftig für Wasserstoff genutzt werden sollen und wendet sich entsprechend auch gegen einen Rückbau der Netze.
Das mag für die Stadtwerke erst einmal attraktiv klingen, schließlich sind die Gasverteilnetze eine wichtige Einnahmequelle. Es verhindert aber auch eine offene Debatte um die Zukunft der Gasverteilnetze, denn aus Expertensicht ist klar, dass diese schon bald weniger genutzt und so für die Kommunen und Verbraucher:innen immer teurer werden. Die Umstellung auf Wasserstoff wird längst nicht für das ganze Gasverteilnetz sinnvoll sein. Diese Debatte muss dringend offen geführt werden – ohne fragwürdige und einseitige Lobbyinterventionen, die Kostenfallen als Scheinlösungen anpreisen.
Warst du überrascht davon, dass die Mitgliedschaft der Stadtwerke bei „Zukunft Gas“ so hohe Wellen geschlagen hat?
Zunächst schon. Wir arbeiten ja schon seit mehreren Jahren zu Zukunft Gas und haben dabei auch immer thematisiert, dass dort Stadtwerke Mitglied sind. Zu Beginn haben wir uns aber darauf konzentriert, die problematische Rolle des Verbands überhaupt sichtbar zu machen. Im Anschluss haben wir die Mitgliedschaft von Politiker:innen im Beirat von Zukunft Gas kritisiert. Drei von vier haben den Beirat inzwischen verlassen.
Der Fokus auf Stadtwerke kam durch die Recherche von Correctiv noch einmal stärker in die Öffentlichkeit. Und er war natürlich in der Debatte um das Heizungsgesetz ganz zentral. Richtig Schwung bekam die Debatte, als wir – neben Akteuren wie WeiterSo!, 350.org und dem Umweltinstitut – stärker Druck gemacht haben, dass die Stadtwerke austreten sollen. Als dann die die ersten Stadtwerke tatsächlich austraten, war das dann natürlich eine wirklich große Nachricht. Die laufenden Meldungen über weitere Austritte geben der Kampagne und Debatte zusätzlich dazu jetzt noch mehr Dynamik. Zudem spornt es weitere Stadtwerke an, ebenfalls auszutreten und regt gleichzeitig noch mal mehr lokale Proteste an.
Wie bewertest du die Austrittswelle aus „Zukunft Gas“: Ist der Verband am Ende?
Das ist schon ein großer Erfolg. Und ja, ich denke schon, dass der Verband dadurch stark geschwächt wird. Auch weil sichtbarer wird, welch problematische Rolle er in der Debatte um die Zukunft der Energie- und Wärmeversorgung gespielt hat und nach wie vor spielt. Nun wird sich zeigen, wie Politik und Medien mit dem Verband umgehen. Denn auch davon hängt ja die Macht von Lobbyakteuren ab: Werden deren Positionen angehört und ernst genommen oder nicht? Da wird sich sicherlich in der öffentlichen Wahrnehmung nun etwas verändert haben.
Das Interview führte Sally Wichtmann für das Umweltinstitut München.
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