Klimaschutz ist Kinderschutz
Die aktuelle Flutkatastrophe in Spanien gibt einen bitteren Vorgeschmack, wohin die Klimakrise uns führt. Unsere Kinder werden die Hauptleidtragenden dieser Entwicklung sein und sind es teilweise schon heute. Es ist Zeit für ein radikales Umdenken weg von der kurzfristigen Profitorientierung, wenn wir ernsthaft Klimaschutz betreiben und langfristige Lösungen finden wollen.
Dr. Leonard Burtscher · 2,5 Minuten Lesezeit
Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern? Das Hochwasser in Spanien mit mindestens 200 Toten und Schäden deutlich über einer Milliarde Euro zeigt eindringlich, was uns allen droht, wenn wir nicht schnellstmöglich die Emissionen reduzieren. Die aktuelle Klimapolitik steuert jedoch auf etwa drei Grad Erderwärmung zu, wie der „Emissions Gap Report 2024“ der UN feststellte. Das ist ein mehr als doppelt so hoher Temperaturanstieg gegenüber der vorindustriellen Zeit. Was passiert mit der menschlichen Zivilisation, wenn zwischen zwei “Jahrhunderthochwassern” nicht mehr genug Zeit bleibt, um Gemeinden und Infrastruktur wiederaufzubauen? Wahrscheinlich wird diese Situation von starker Migration in weniger betroffene Gebiete geprägt sein – und von den damit verbundenen Konflikten. Eine friedliche Zukunft ist so kaum vorstellbar.
Kinder sind besonders betroffen
Die Klimakrise trifft jedoch nicht alle Menschen gleichermaßen. Menschen im so genannten globalen Süden sind besonders betroffen, ebenso ärmere oder kranke Menschen, auch in Deutschland. Besonders schutzbedürftig sind auch Kinder und Jugendliche, die den Auswirkungen der Klimakrise oft am stärksten und langfristig ausgeliefert sind. Im Gegensatz zur einflussreichen Industrie verfügen Kinder über keine Lobby. Ihre Stimme bleibt ungehört und ihre Rechte werden häufig übergangen oder nur unzureichend geschützt. Wäre es wirklich im Interesse der nächsten Generation, über eine Verschiebung des Zeitpunkts der Klimaneutralität nachzudenken, wie die FDP letzte Woche forderte? Hilft es Kindern, dass die CDU neue Atomkraftwerke fordert? Hat die junge Generation morgen ein besseres Leben, weil die SPD eine Abschwächung von Energieeffizienzstandards bei Gebäuden durchgesetzt hat? Wohl kaum.
Kinder und Jugendliche gehören bereits heute in Deutschland zu den Hauptleidtragenden der Klimakrise. Und das nicht nur, weil sie noch ihr ganzes Leben lang von den Auswirkungen betroffen sein werden, sondern auch weil sie bereits heute weniger Möglichkeiten haben, damit umzugehen. Kinder haben einen höheren Bedarf an Bewegung, weniger Schweißproduktion, eine weniger gute Einschätzung von Hitze und besitzen ein höheres Verhältnis von Oberfläche zu Körpermasse. In Hitzesommern führen diese Eigenschaften zu schnellerer Dehydrierung. Laut UNICEF ist auch in Europa jedes zweite Kind von häufigen Hitzeperioden betroffen. Die Effekte verschlimmern sich nochmals bei Kindern von ärmeren Haushalten, die oft in dicht bebauten Stadtteilen wohnen, wo es aufgrund fehlender Frischluftschneisen bis zu zehn Grad heißer werden kann als in umliegenden Bereichen.
Ein Umdenken ist notwendig
“Klimaschutz ist daher Kinderschutz” schreiben die Parents for Future Berlin daher in einem Brief an Kanzler Scholz, den wir unterstützen. Es ist an der Zeit, dass das Wohlergehen unserer Kinder in den Mittelpunkt der politischen Debatten rückt und wir die umweltschädliche Fixierung auf das Wirtschaftswachstum hinter uns lassen.
Die gute Nachricht ist: Die Lösungen liegen auf der Hand! In der jüngst von Agora Energiewende vorgestellten Studie „Klimaneutrales Deutschland“ wird ein möglicher Weg aufgezeigt, wie Deutschland schnell und effizient eine wirkliche Vorreiterrolle im globalen Klimaschutz einnehmen kann (siehe Infokasten). Expert:innen sind sich einig, dass eine solche Entwicklung nicht nur nicht nur im Interesse der nächsten Generationen liegt, sondern auch die Wirtschaft langfristig stärken könnte. Dies gelingt jedoch nur, wenn wir das Streben nach kurzfristiger Profitmaximierung beenden und von Politiker:innen aller Parteien fordern: Machen Sie die Rechte und das Wohl unserer Kinder zur obersten Priorität!
Lösungen für alle Sektoren
- Energiesektor Im Energiesektor müssen wir vor allem die Energieverschwendung abstellen. In Gebäuden, Autos und in vielen Produkten setzen wir viel mehr Energie ein, als nötig ist. Ohne Komfort einzubüßen könnten wir etwa die Hälfte der Energie einsparen und damit auf einen Schlag Kohlekraftwerke, LNG-Terminals und andere fossile Infrastruktur überflüssig machen. Mit einem schnelleren, aber naturverträglichen Ausbau der Erneuerbaren können wir schon in wenigen Jahren den Großteil der klimaschädlichen Emissionen stoppen.
- Industriesektor Auch im Industriesektor liegt die Lösung in Energieeinsparungen. Die deutsche Industrie könnte mehr als vierzig Prozent Energie einsparen, wenn konsequent auf wirtschaftlich sinnvolle Effizienzmaßnahmen gesetzt würde. Konkret bedeuten 210 Milliarden Euro Investitionen jährliche Einsparungen in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro, wie eine von der Deutschen Unternehmensinitiative für Energieeffizienz (DENEFF) in Auftrag gegebenen Studie aufzeigte. Nach vier Jahren wären die Investitionen amortisiert, die Industrie wäre saniert und darüber hinaus deutlich wettbewerbsfähiger. Viel zu kurzfristige Renditeerwartungen stehen diesen sinnvollen Investitionen im Weg.
- Transportsektor Im Transportsektor ist die günstigste, umweltfreundlichste und sicherste Lösung die Verkehrswende. Mehr Fußwege, Radwege, ein verlässliches öffentliches Verkehrsnetz. Für die wenigen Strecken, die nur mit dem Auto machbar sind, sollte es Carsharing-Optionen geben. Jedes solche Auto kann bis zu 20 Privatfahrzeuge ersetzen.
- Landwirtschaft Auch die Landwirtschaft kann schnell klimafreundlich umgestaltet werden. Hierbei müssen wir vorrangig den Tierbestand reduzieren. Ohne eine weitgehend pflanzenbasierte Ernährung können wir die Emissionen in der Landwirtschaft nicht schnell genug reduzieren. Weniger tierische Produkte bedeutet auch weniger Flächenverbrauch – damit gibt es dann auch keine Ausrede mehr gegen 100% Bio-Landbau.
- "hard to abate”- Emissionen Für die schwer zu vermeidenden “hard to abate"-Emissionen gibt es ebenfalls Lösungsansätze. Stahl kann gut recycelt werden und neuer Stahl auch ohne Kohle, aber mit Wasserstoff im so genannten Direktreduktionsverfahren hergestellt werden – einer der wenigen sinnvollen Einsatzzwecke von Wasserstoff. Zement kann oft durch natürliche Materialien wie Holz ersetzt werden. Darüberhinaus müssen natürliche Kohlenstoffsenken wieder aktiviert werden durch die Wiedervernässung von Mooren und das Pflanzen von Bäumen; dies ist der naturverträgliche, sichere und auch günstigste Weg, um unvermeidliche Emissionen wieder zu binden und vermeidet riskante und nicht einsatzbereite Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS).