Mitte Juli tagt der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel der Europäischen Union. In diesem Ausschuss entscheiden die Mitgliedstaaten der EU gemeinsam über die Zulassung von Pestizid-Wirkstoffen. Dieses Mal steht auf der Tagesordnung die Zulassungsverlängerung für 14 Wirkstoffe, die als sogenannte Substitutionskandidaten eingestuft sind zur Diskussion und möglicherweise auch zur Abstimmung.

EU Flaggen und spritzender Traktor

Verlängert sich die EU-Zulassung für mehrere besonders gefährliche Pestizide?

+++Update 22.07.2022+++

Die Zulassung für hochgiftige Pestizide wurde verlängert! Die EU-Mitgliedstaaten haben mehrheitlich beschlossen, die Zulassung der Ackergifte zu verlängern. Auch die deutsche Bundesregierung, die durch Vertreter:innen aus dem Umwelt- und dem Landwirtschaftsministerium (beides Bündnis 90/ Die Grünen) an der Entscheidung beteiligt war, hat für die Zulassungsverlängerung gestimmt. Das geht aus dem Abstimmungsergebnis hervor. Die Wirkstoffe sind nun für ein weiteres Jahr EU-weit zugelassen.

Zehn der Wirkstoffe kommen derzeit auch in Pestizidmischungen zum Einsatz, die in Deutschland ausgebracht werden dürfen. Im Extremfall enthalten diese Mischungen bis zu drei verschiedene Substitutionskandidaten gleichzeitig. So z. B. das Mittel Trinity, das als Herbizid im Getreideanbau eingesetzt wird. Darin sind die Wirkstoffe Chlortoluron, Diflufenican und Pendimethalin enthalten. Auch das Mittel Landor CT enthält drei verschiedene Substitutionskandidaten: Tebuconazol, Difenoconazol und Fludioxonil. Das Mittel wird als Fungizid im Getreidebau verwendet.

Dass diese Pestizide in der Vergangenheit überhaupt ausgebracht werden durften, ist schon skandalös genug. Dass ihre Zulassung nun verlängert wurde, ist schlicht unverantwortlich.

Besonders gefährliche Pestizide

Pestizide, die als Substitutionskandidaten eingestuft sind, gelten als besonders gefährlich für die Umwelt und/oder die menschliche Gesundheit. Bei den Wirkstoffen, deren Zulassung nun verlängert werden soll, reichen diese Einstufungen von „Kann das Kind im Mutterleib schädigen“ (8-hydroxyquinoline) über „Kann Säuglinge über die Muttermilch schädigen“ (Etofenprox) bis hin zu „Kann vermutlich Krebs erzeugen“ (Chlorotoluron).

Ziel des Substitutionsprinzipes in der EU ist es, für Mensch und Umwelt besonders gefährliche Wirkstoffe durch weniger schädliche Alternativen zu ersetzen. Dieses Ziel wurde bisher nicht erreicht. Ein kürzlich erschienener Bericht von PAN Europe zeigt, dass sogar das Gegenteil der Fall ist: Europäisches Obst und Gemüse ist zunehmend mit diesen schädlichen Pestiziden belastet.

Liste der Pestizide, deren Zulassung verlängert wurde

  • 8-hydroxyquinoline (Bakterizid, Fungizid, in DE zugelassen)
  • Chlorotoluron (Herbizid, in DE zugelassen)
  • Difenoconazole (Fungizid, in DE zugelassen)
  • Diflufenican (Herbizid, in DE zugelassen)
  • Dimethachlor (Herbizid, in DE zugelassen)
  • Etofenprox (Insektizid, in DE zugelassen)
  • Fludioxonil (Fungizid, in DE zugelassen)
  • Flufenacet (Herbizid, in DE zugelassen)
  • Flumetralin (Wachstumsregulator, keine Zulassung in DE)
  • Lenacil (Herbizid, in DE zugelassen)
  • Nicosulfuron (Herbizid, in DE zugelassen)
  • Quizalofop-P-tefuryl (Herbizid, keine Zulassung in DE)
  • Tebufenpyrad (Insektizid, keine Zulassung in DE)
  • Tri-allate (Herbizid, keine Zulassung in DE)

Problem-Pestizid Flufenacet

Das dieses Ziel nicht erreicht wird, zeigt sich auch am Beispiel von Flufenacet, einem Herbizid, dessen Zulassung nun ebenfalls verlängert werden soll. Laut Umweltbundesamt hat sich der Absatz des Wirkstoffs seit 2014 verdoppelt, ist 2020 nochmals um 32 Prozent angestiegen und wird somit häufiger eingesetzt als je zuvor.

Neben seinen Eigenschaften, die zur Einstufung als Substitutionskandidat geführt haben, verursacht Flufenacet auch Probleme im Grundwasser: Beim Abbau des Wirkstoffs entsteht Trifluoracetat (TFA), das sich kaum aus dem Trinkwasser herausfiltern lässt. In Deutschland wurden schon hohe Konzentrationen im Grundwasser nachgewiesen, was die Trinkwasserversorgungsunternehmen vor Probleme stellt. Die Anwendung eines Mittels, das Flufenacet beinhaltet, wurde darum durch Vorgaben des Umweltbundesamtes (UBA) 2021 beschränkt. Gegen diese Beschränkung zogen die Hersteller des Mittels allerdings vor Gericht. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Beschränkungen nicht mit dem EU-Recht vereinbar wären, so dass diese zurückgenommen werden mussten. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BVL), damals noch unter der Aufsicht der ehemaligen Agrarministerin Julia Klöckner, weigerte sich trotz Bitte des UBA, gegen das Gerichtsurteil Berufung einzulegen.

Verbote für Substitutionskandidaten

Wir fordern Umweltministerin Lemke und Landwirtschaftsminister Özdemir dazu auf, sich für ein EU-weites Verbot von Flufenacet und weiteren Substitutionskandidaten einzusetzen. Eine Verlängerung der Genehmigung dieser Wirkstoffe wäre aufgrund der Gefahren für Umwelt und Gesundheit unverantwortlich – und sie widersprechen außerdem den Zielen der Farm-to-Fork-Strategie, in deren Rahmen die Gefahren, die von Pestiziden ausgehen, reduziert werden sollen.

Weitere Meldungen zum Thema

Günther Felßner wird nicht Landwirtschaftsminister

Landwirtschaft

– Günther Felßner, einer der Cheflobbyisten der Agrarindustrie in Deutschland, hat seine Kandidatur für das Ministeramt zurückgezogen - ein Erfolg unseres Protests.

Günther Felßner wird nicht Landwirtschaftsminister

Wir klagen gegen das Klimagift Sulfurylfluorid

Energie und Klima, Landwirtschaft

– Trotz seiner extremen Klimaschädlichkeit wird Sulfurylfluorid (SF) weiterhin in großen Mengen als Pestizid eingesetzt – mit Genehmigung der Behörden. Das Umweltinstitut zieht deshalb vor Gericht: Unsere Klage gegen das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) soll die Zulassung des SF-haltigen Pestizids ProFume stoppen.

Wir klagen gegen das Klimagift Sulfurylfluorid

Teilerfolg im Kampf gegen Klimagift

Energie und Klima, Landwirtschaft

– Firmen, die das Klimagift Sulfurylfluorid freisetzen, müssen sich nun dafür offiziell rechtfertigen, wie es das EU Recht vorschreibt. Ohne das Umweltinstitut hätte die Hamburger Umweltbehörde dies einfach ignoriert.

Teilerfolg im Kampf gegen Klimagift
Zurück nach oben