„Mit ‚naturnah‘ und ‚nachhaltig‘ hat das nichts mehr zu tun"
Das Umweltinstitut hat in einem umfassenden Bericht den Pestizideinsatz von Südtiroler Apfelanbaubetrieben ausgewertet. Im Interview ordnen wir die Ergebnisse ein.
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Im intensiven Apfelanbau Südtirols kommen für Umwelt und Gesundheit hochproblematische Pestizide in teils hoher Frequenz zum Einsatz. Das zeigen konkrete Pestizideinsatzdaten von 681 Apfelanbaubetrieben aus der Region Vinschgau aus dem Jahr 2017, die wir im Rahmen des Südtiroler Pestizidprozesses erhalten und ausgewertet haben. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse und unserer Forderungen können Sie hier nachlesen.
Wir sprechen mit Christine Vogt, einer der Autor:innen des Berichts, Fabian Holzheid, dem politischen Geschäftsführer des Umweltinstituts, und Karl Bär, der als damaliger Agrarreferent des Umweltinstituts wegen der Kritik am Pestizideinsatz in Südtirol vor Gericht gezerrt wurde.
Die Auswertung des Umweltinstituts beschränkt sich auf das Vinschgau im Jahr 2017. Lassen sich diese Ergebnisse auf ganz Südtirol übertragen? Und auch auf andere Jahre?
Karl Bär: Die Apfelbauern in Südtirol sind alle eingebunden in ein sehr ähnlich funktionierendes ökonomisches System von Beratung, Regulierung und der Vermarktung ihrer Äpfel. Das spricht dafür, dass die Spritzpraxis im Allgemeinen in anderen Regionen Südtirols ähnlich aussieht. Allerdings spielen auch klimatische Einflüsse eine wichtige Rolle dafür, wie häufig zum Beispiel Fungizide eingesetzt werden. Und da gibt es von Ort zu Ort und von Jahr zu Jahr durchaus Unterschiede.
Warum sollten in der Landwirtschaft weniger Pestizide eingesetzt werden?
Christine Vogt: Viele Menschen denken im Zusammenhang mit Pestiziden zuerst an Rückstände auf Obst und Gemüse. Das ist verständlich, denn Pestizide können der Gesundheit schaden. Besonders gefährdet sind allerdings die Menschen, die einer dauernden Belastung ausgesetzt sind: Das sind Landwirt:innen, die mit den giftigen Mitteln hantieren oder Anwohner:innen von intensiv bewirtschafteten Flächen, die über Monate tagtäglich Pestizide einatmen.
Wir müssen aber auch deshalb von den Pestiziden wegkommen, um zukünftigen Generationen die Lebensgrundlage zu erhalten. Denn die intensive Landwirtschaft mit ihrem hohen Pestizideinsatz ist eine der Hauptursachen für das weltweite Artensterben.
Die Gifte schaden nicht nur den Organismen, vor denen die Ernte geschützt werden soll. Auch Nützlinge, die für die Bestäubung und Schädlingsbekämpfung wichtig sind, leiden darunter. Je weniger Nützlinge wie Marienkäfer und Schwebfliegen es gibt, desto mehr Pestizide müssen eingesetzt werden, die wiederum den Nützlingen schaden – ein Teufelskreis, aus dem wir dringend aussteigen müssen.
Was muss jetzt passieren, um das Problem zu lösen?
Fabian Holzheid: In Südtirol müssen Pestizide, die als besonders bedenklich für Gesundheit und Umwelt gelten, sofort verboten werden. Der Einsatz von Herbiziden, also von Unkrautvernichtungsmitteln, ist auf den Apfelplantagen bereits gänzlich verzichtbar und kann durch mechanische Verfahren ersetzt werden. Die Betriebe sollten dazu angehalten werden, robustere Apfelsorten zu pflanzen und natürliche Gegenspieler von Schädlingen zu fördern, statt diese mit der chemischen Keule zu bekämpfen.
Die Probleme, die wir im Südtiroler Vinschgau vorfinden, sind aber sicher nicht nur auf diese Region begrenzt. Sie sind vielmehr symptomatisch für die industrielle Landwirtschaft, und unsere Auswertung bestärkt uns in unserer Forderung nach einem Verbot chemisch-synthetischer Pestizide in der ganzen EU bis spätestens 2035. Die Bäuerinnen und Bauern, die unter enormem wirtschaftlichen Druck stehen, müssen dabei aber auch unterstützt werden: Durch eine Neuausrichtung der Agrarsubventionen, damit naturverträgliches Wirtschaften auch finanziell attraktiver wird. Durch verbesserte Beratungsangebote bei der Umstellung auf eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft. Und nicht zuletzt durch Aufklärung der Konsumentinnen und Konsumenten, die oft nicht wissen, welche ökologischen und gesundheitlichen Folgen es mit sich bringt, dass nur makelloses Obst im Supermarkt landet – obwohl kleine optische Fehler die Qualität nicht beeinflussen.
Alle Informationen zu unserer Auswertung, den Bericht zum Download sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Forderungen finden Sie hier:
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