Pestizidabdrift kein Problem?
So will es auch eine vom Südtiroler Sanitätsbetrieb und dem Versuchszentrum Laimburg (beide an die Südtiroler Landesregierung angebundene bzw. hauptsächlich von ihr finanzierte Institutionen) im Dezember 2022 veröffentlichte Studie beweisen: Von 2018-2021 wurden 39 „sensible Zonen“ – davon 33 öffentliche Südtiroler Spielplätze, vier Schulhöfe, ein Kindergarten und ein öffentlicher Treffpunkt – die sich in der Nähe von landwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen befinden, regelmäßig auf Pestizidrückstände untersucht. Das angeblich beruhigende Ergebnis dieser Untersuchungen: Die Rückstände von Pestiziden auf öffentlichen Flächen in Südtirol hätten in den letzten vier Jahren stark abgenommen – angeblich ein Beweis für die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Verhinderung von Abdrift. Sowohl die Anzahl als auch die Konzentration der Pestizidwirkstoffe seien dank der Maßnahmen um mehr als 70 Prozent zurückgegangen – und die nach wie vor vorhandenen Rückstandsmengen seien gesundheitlich unbedenklich.
Der Wahrheitsgehalt dieser Ergebnisse ist jedoch mehr als zweifelhaft, wie das Pesticide Action Network und die Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) kritisieren. Denn viele der Grasproben seien während Monaten genommen worden, in denen keine oder wenig Pestizide ausgebracht werden (im Winter und während der Erntezeit). Auch sei nur nach 92 Wirkstoffen gesucht worden, obwohl das angewandte Analyseverfahren über 300 Substanzen nachweisen könne, was auch eher der Zahl der potentiell eingesetzten Pestizide entspräche. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Rückstände führten die Studienautor:innen – auch unter Vernachlässigung des Cocktaileffekts darauf zurück – dass diese unter den maximal zulässigen Rückstandswerten (MRLs) für Äpfel und Blaubeeren lägen. Der Vergleich mit Rückstandshöchstwerten aus dem Lebensmittelrecht ist jedoch irreführend, da Pestizidrückstände, die sich per Abdrift über die Luft verbreiten, nicht über die Nahrung, sondern über die Atemwege aufgenommen werden – ein komplett anderer Expositionsweg. Somit hat die Tatsache, dass die Rückstandsmengen die zulässigen Lebensmittelhöchstwerte nicht überschritten, kaum Aussagekraft im Hinblick auf negative Folgen für die menschliche Gesundheit, und natürlich auch nicht im Hinblick auf Artenvielfalt und Ökosysteme. Mit dieser fragwürdigen Methodik kamen die Autoren aber zu dem Ergebnis, dass die Pestizid-Abdrift in Südtirol dank der von der Landesregierung eingeführten Schutzmaßnahmen deutlich zurückgegangen sei.