„Es ist beunruhigend, dass sich der Text der Interpretationserklärung nach der Zustimmung der Ampelkoalition zu CETA nochmals stark verändert hat. Inmitten der Klimakrise wurden nahezu alle konkreten Absprachen zum Klimaschutz gestrichen. Auch Konzernklagerechte bestehen weiter und ermöglichen es Unternehmen, Staaten aufgrund von Klimaschutzgesetzen zu verklagen. So sieht keine zukunftsfähige Klimapolitik aus!“, sagt PowerShift-Handelsexpertin Alessa Hartmann.

„Eine Zusatzerklärung kann aus einem veralteten und klimaschädlichen Abkommen kein modernes Instrument der Handelspolitik machen. Sie hat nur Auslegungswert und kann den Vertragstext nicht ändern. Dennoch wurde dieses Papier dafür genutzt, um eine Ratifizierung von CETA durch den Deutschen Bundestag zu rechtfertigen. Dass die Abgeordneten einem Freihandelsabkommen auf Basis eines Dokuments zugestimmt haben, das ihnen noch gar nicht bekannt sein konnte und das sich im Nachhinein als völlig unwirksam herausstellt, ist ein handfester Skandal”, erklärt Ludwig Essig, Handelsexperte beim Umweltinstitut.

Nach einer juristischen Sprachprüfung wird der Rat der Europäischen Union die Interpretationserklärung voraussichtlich Ende November 2023 beschließen. Unklar ist, ob hierfür Einstimmigkeit oder eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten erforderlich ist. Die Erklärung würde dann vom Gemischten Ausschuss beschlossen werden: entweder im schriftlichen Verfahren – was schneller wäre – oder durch eine formelle Entscheidung des Ausschusses beim Treffen im ersten Quartal 2024. PowerShift und das Umweltinstitut fordern, die Ratifizierung von CETA zu stoppen. Darüber hinaus müssen alle Abkommen mit Konzernklagerechten aufgekündigt und die europäische Handelspolitik nach klaren ökologischen und sozialen Leitplanken ausgerichtet werden, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen.

Hintergrund

Das Handelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) wurde 2016 zwischen der Europäischen Union und Kanada unterzeichnet. Es enthält unter anderem Vereinbarungen zur Senkung von Zöllen und zur Vereinfachung des Marktzugangs, aber auch zum besonders umstrittenen Investitionsschutz, den sogenannten Konzernklagerechten. Der deutsche Bundestag hat im Dezember 2022 die Ratifizierung des Abkommens beschlossen und sich dabei auf eine Zusatzerklärung zum Investitionsschutz berufen, mit deren Hilfe besonders strittige Fragen – beispielsweise zu Investitionsschutzstandards und fehlenden Vereinbarungen zum Klimaschutz – geklärt werden sollten. Diese Zusatzerklärung hatte den Abgeordneten des Bundestages zum Zeitpunkt der Ratifizierung noch gar nicht vorgelegen.

Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen wie Powershift und das Umweltinstitut kritisieren:

  • Unverbindliche Interpretationserklärung: Die vorliegende Interpretationserklärung dient lediglich als Interpretationshilfe für die Richter:innen an Schiedsgerichten. Sie hat keine bindende oder gar ändernde Wirkung auf den Vertragstext selbst. Zu diesem Schluss kamen mehrere juristische Untersuchungen noch vor der Ratifizierung.
  • Fehlende Partizipation: Obwohl die Interpretationserklärung zum Investitionsschutz als Voraussetzung für die zweite und dritte Lesung des Ratifizierungsgesetzes angekündigt worden war, erfolgte die Abstimmung im Bundestag noch bevor die Verhandlungen über das Papier mit Kanada richtig begonnen hatten. Erst über ein halbes Jahr später wurde die Interpretationserklärung finalisiert. Die Bundestagsabgeordneten stimmten damit einem Abkommen unter Bedingungen zu, die sie nicht kannten und die sie nicht beeinflussen konnten.
  • Intransparenz: Zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden im Vorfeld der ersten Lesung nicht einmal 24 Stunden zur Anhörung eingeräumt. Auch bei der Expert:innenanhörung waren sie im Gegensatz zu Industrievertreter:innen nicht eingeladen. Die Interpretationserklärung wurde im Geheimen verhandelt und wird der Öffentlichkeit vorenthalten.
  • Konzernklagerechte haben weiterhin Bestand: Die Möglichkeit für Konzerne, Staaten für fortschrittliche Gesetze zum Schutz des Klimas und der Verbraucher:innen auf Schadenersatz zu verklagen, ist weiterhin gegeben. Auch unter Bezugnahme auf indirekte Enteignung und der gerechten und billigen Behandlung. Der vorliegende Text schafft keine Abhilfe.
  • Klimaschutz gestrichen: Nahezu alle Bezüge zu Klimapolitik und konkretere Absprachen zum Klimaschutz wurden aus dem Entwurf der Interpretationserklärung gestrichen.

Dokumente:

>>> Analyse des Umweltinstituts und Powershift
>>> Interpretationserklärung
>>> Gutachten

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