SLAPP-Klagen: Gesetzesentwurf greift zu kurz
Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Das No SLAPP Bündnis Deutschland kritisiert insbesondere die Beschränkung auf grenzüberschreitende Fälle, die fehlende Regelung des außergerichtlichen Bereichs und die unzureichenden Sanktionsmechanismen. Aktuelle Fälle zeigen: Der Entwurf würde Betroffenen von strategischer Einschüchterung keinen wirksamen Schutz bieten. Deshalb fordert das Bündnis, den Anwendungsbereich auf nationale Fälle auszuweiten, den außergerichtlichen Bereich zu regeln, wirksame Sanktionen einzuführen und Beratungsstrukturen gesetzlich abzusichern.
Gesetzesentwurf mit gravierenden Schutzlücken
Mit der EU-Richtlinie 2024/1069 hat die Europäische Union erstmals verbindliche Schutzmaßnahmen gegen sogenannte SLAPPs geschaffen – strategische Klagen, die darauf abzielen, kritische Stimmen durch das Drohpotenzial von Gerichtsverfahren einzuschüchtern. Deutschland muss diese Richtlinie bis Mai 2026 in nationales Recht umsetzen. Der am 10. Dezember vorgelegte Regierungsentwurf verfehlt jedoch das Ziel eines wirksamen Schutzes.
Rückschritt gegenüber dem Referentenentwurf: Während der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums noch vorsah, die neuen Schutzregelungen auch auf rein nationale Fälle anzuwenden, beschränkt der Regierungsentwurf den Anwendungsbereich nun auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Damit würde die große Mehrheit der SLAPP-Fälle in Deutschland vom Schutz ausgenommen. Die No SLAPP Anlaufstelle hat seit Mai 2024 rund 70 Anfragen betreut – fast ausnahmslos mit Bezug auf nationale Sachverhalte.
Außergerichtliche Einschüchterung bleibt ungeregelt: Fast alle betreuten Fälle beginnen mit einer Abmahnung oder einem anwaltlichen Schreiben. Der Einschüchterungseffekt tritt bereits ein, bevor es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Der Gesetzentwurf regelt jedoch ausschließlich das gerichtliche Verfahren und lässt den vorgerichtlichen Bereich vollständig außen vor.
Sanktionen ohne Abschreckungswirkung: Die vorgesehene besondere Gebühr für missbräuchliche Klagen darf laut Entwurf maximal das Doppelte der regulären Verfahrensgebühr betragen. Bei einem typischen SLAPP-Fall mit 50.000 Euro Streitwert wären das nur rund 1.900 Euro – ein Betrag, der finanzstarke Kläger:innen kaum abschreckt. Die No SLAPP Anlaufstelle fordert stattdessen eine Gebühr in Höhe der mindestens 10-fachen Verfahrensgebühr, bei besonders schweren Fällen bis zur 15-fachen Verfahrensgebühr.
Aktuelle Fälle verdeutlichen die Schutzlücken
Aktuelle Fälle zeigen exemplarisch, wie finanzstarke Akteure das Rechtssystem nutzen, um kritische Stimmen einzuschüchtern – und warum der vorliegende Gesetzentwurf Betroffene nicht schützen würde.
Doppelklage gegen Kritiker:innen eines Hochhausprojekts trotz Niederlage fortgesetzt: Die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l., Planerin von sieben Hochhäusern im Berliner Gleisdreieck, klagte gleich doppelt: gegen den Betreiber des Gleisdreieck-Blogs und gegen die Bürgerinitiative Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. Im Oktober verlor der Investor die erste Klage in allen fünf Punkten. Das Gericht bestätigte das Recht der Kritiker:innen, sich zu Fragen des Denkmalschutzes, des Naturschutzes und der Sicherheitsvorkehrungen öffentlich zu äußern.
Dennoch legte der Anwalt des Investors Berufung ein und beantragte zugleich, den Streitwert von 15.000 auf 35.000 Euro zu erhöhen. Das Landgericht Berlin lehnte dies ab und formulierte in seinem Beschluss vom 28. November 2025 einen bemerkenswerten Hinweis: „Besonders hohe Streitwerte in Verfahren von finanzstarken Unternehmen gegen Einzelpersonen könnten eine einschüchternde Wirkung auf deren Meinungsfreiheit haben.“ Das Kammergericht schloss sich dieser Auffassung an. Trotz fehlender Erfolgsaussichten werden die Verfahren 2026 vor dem Kammergericht fortgesetzt – ganz offenbar ist dem Investor an dem Rechtsstreit als Instrument der Konfliktführung an sich gelegen.
Unterlassungsklage wegen Auslage von Informationsmaterial: Eine Initiative, die sich kritisch mit der Kaffee-Kette LAP Coffee auseinandersetzt, hatte öffentlich gemacht, dass in drei Berliner Buchhandlungen und einem Stadtteilladen kritisches Informationsmaterial zur Abholung bereitliege. Wenige Stunden später folgte bereits eine strafbewehrte Unterlassungsaufforderung durch LAP gegen die Läden – mit einem fiktiven Streitwert von 200.000 Euro. Im Falle einer gerichtlichen Niederlage drohten den kleinen Buchhandlungen und dem Stadtteilladen nach den geltenden Regelungen damit Kosten von rund 20.000 Euro allein für die erste Instanz.
Die betroffenen Läden betonen, dass es vor der Unterlassungsaufforderung keinerlei Kontaktaufnahme durch LAP Coffee gegeben habe. Das Vorgehen des Unternehmens zielt nach Einschätzung der Betroffenen darauf ab, die Kritik „so weit wie möglich mundtot zu machen“.
Auch den Verein Rettet den Regenwald e.V. hätte der aktuelle Gesetzentwurf nicht vor einem SLAPP-Versuch geschützt. Im Juli 2025 hatte eine Anwaltskanzlei innerhalb weniger Tage vier nahezu gleich lautende Abmahnungen mit der Aufforderung von Unterlassungserklärungen verschickt. Der Verein hat die Forderungen zwar zurückgewiesen, der juristische Angriff hat jedoch Zeit und Geld gekostet. Da auch dieses Vorgehen nicht direkt zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führte, wäre ein Gesetz wie im aktuellen Entwurf konzipiert wirkungslos geblieben.
Das Gesetz in seiner aktuellen Form hätte in den drei Fällen keinen wirksamen Schutz geboten:
Das No SLAPP Bündnis kritisiert, dass der Regierungsentwurf Betroffene wie in diesen Fällen nicht schützen würde:
Erstens beschränkt der Entwurf den Anwendungsbereich auf grenzüberschreitende Fälle. Wie der Fall der Kritik an der Kaffee-Kette LAP Coffee sind auch die meisten anderen SLAPPs rein nationale Sachverhalte. Die No-SLAPP-Anlaufstelle hat im laufenden Jahr rund 30 Anfragen von Betroffenen bearbeitet, von denen nur sieben eine grenzüberschreitende Dimension hatten. Im Referentenentwurf war noch vorgesehen, die Schutzregelungen auch auf nationale Fälle auszuweiten – diese wichtige Erweiterung wurde im Regierungsentwurf gestrichen.
Zweitens regelt der Entwurf ausschließlich das gerichtliche Verfahren. Die Erfahrungen der No-SLAPP Anlaufstelle zeigen jedoch, dass fast alle der betreuten Fälle mit einer Abmahnung oder einem anwaltlichen Schreiben beginnen. Der Einschüchterungseffekt tritt bereits ein, bevor es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kommt. Im Fall LAP Coffee führte allein die Androhung eines Verfahrens mit 200.000 Euro Streitwert zu erheblichem Druck auf die betroffenen Läden.
Drittens sind die vorgesehenen Sanktionen zu schwach, um finanzstarke Kläger:innen abzuschrecken. Im Fall Gleisdreieck zeigt sich: Selbst nach vollständiger Niederlage wird weitergeklagt. Die im Entwurf vorgesehene besondere Gebühr orientiert sich an der regulären Verfahrensgebühr und fällt für finanzstarke Unternehmen nicht ins Gewicht.
Forderungen des No SLAPP Bündnisses
Das No SLAPP Bündnis fordert grundlegende Nachbesserungen am aktuellen Gesetzesentwurf:
- Anwendung auch auf nationale Fälle: Die allermeisten SLAPP-Fälle in Deutschland haben keinen grenzüberschreitenden Bezug. Ein Schutzgesetz, das nur für grenzüberschreitende Fälle gilt, verfehlt seinen Zweck.
- Regelung des außergerichtlichen Bereichs: Kosten für Abmahnungen sollten gedeckelt und Erstattungspflichten bei unberechtigten Abmahnungen eingeführt werden, analog zu § 97a UrhG.
- Wirksame Sanktionen: Die besondere Gebühr muss deutlich erhöht werden, um eine echte Abschreckungswirkung zu entfalten.
- Strukturelle Absicherung von Beratungsangeboten: Die EU-Richtlinie verpflichtet zur Bereitstellung wirksamer Unterstützungsmaßnahmen. Eine gesetzliche Verankerung der Finanzierung von Beratungsstrukturen fehlt im Entwurf.
Zitat:
„Der Regierungsentwurf ist eine Minimalumsetzung, die Betroffene von Einschüchterungsklagen weitgehend schutzlos lässt“, erklärt Philipp Wissing (Blueprint for Free Speech e.V.) vom No SLAPP Bündnis. „Die Fälle zeigen: SLAPPs treffen neben Journalist:innen und Organisationen auch Buchhandlungen, Bürger:inneninitiativen und Einzelpersonen, die sich kritisch zu Fragen von öffentlichem Interesse äußern. Ein Schutzgesetz, das nur für grenzüberschreitende Fälle gilt und den außergerichtlichen Bereich ignoriert, verfehlt seinen Zweck. Da muss unbedingt nachgebessert werden.“
Hintergrund:
Das No SLAPP Bündnis Deutschland ist ein Zusammenschluss von rund 15 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für den Schutz vor strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPPs) einsetzen. Die No SLAPP Anlaufstelle hat seit Mai 2024 über 50 Fälle von rechtlicher Einschüchterung betreut.
Die EU-Richtlinie 2024/1069 verpflichtet die Mitgliedstaaten, bis Mai 2026 Schutzmaßnahmen gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren einzuführen. Der am 10. Dezember 2025 vorgelegte Regierungsentwurf setzt diese Richtlinie in deutsches Recht um.
Weiterführende Informationen
- Stellungnahme der No SLAPP Anlaufstelle zum Referentenentwurf
- Ausführliche Falldokumentationen