Krieg gefährdet weiterhin ukrainische AKWs
Russland führt seit zwei Wochen Krieg gegen die Ukraine. Russische Luftwaffe und Artillerie haben furchtbaren Zerstörungen in den größten ukrainischen Städten zu verantworten. Neben den eigentlichen Kriegshandlungen stellt auch ein nuklearer Unfall, der durch den Krieg provoziert wurde, eine große Gefahr dar, die nicht nur die ukrainische Bevölkerung treffen würde.
Dr. Hauke Doerk · Kasimir Buhr · 3 Minuten
Wie kann der Krieg zu einem nuklearen Unfall führen?
Es könnte auf verschiedene Weisen zur Freisetzung von Radioaktivität kommen. Selbst wenn die russische Armee nicht absichtlich einen Reaktor zerstört, könnte eine durch den Krieg bedingte Verkettung von Fehlern oder Kommunikationsproblemen zu einem Unglück führen.
Direkter Beschuss könnte sowohl den Reaktor selbst als auch die Infrastruktur rund um den Reaktor beschädigen. Besonders gefährdet sind Lager von alten Brennstäben auf dem Kraftwerksgelände, da diese weniger gut geschützt sind. Die Brennstäbe eines Atomkraftwerks produzieren auch nach dem Betrieb weiter Hitze und müssen darum kontinuierlich gekühlt werden, um nicht zu schmelzen und Feuer zu fangen. Aus diesem Grund müssen die Anlagen immer mit Strom versorgt werden. Um die Kühlung auch während eines Stromausfalls zu gewährleisten, haben AKWs Notstrom-Aggregate. Diese könnten allerdings bei Kampfhandlungen beschädigt werden oder der Nachschub mit Diesel könnte unterbrochen werden.
Darüber hinaus stellen Bedienfehler durch die Überlastung der Angestellten eine große Gefahr da. Die Belegschaft ukrainischer Kraftwerke unter russischer Kontrolle konnte teilweise nicht durch Kolleg:innen abgewechselt werden. Auch heißt es, dass sie nicht ausreichend Essen bekommen haben und die Kommunikation mit dem russischen Militär schwierig ist.
An welchen Reaktoren ist die Gefahr besonders hoch?
Neben dem stillgelegten Atomkraftwerk Tschernobyl gibt es in der Ukraine aktuell vier aktive AKW. Von der russischen Armee wurden bis jetzt Tschernobyl und Saporischschja erobert.
Die Anlage in Tschernobyl umfasst vier inzwischen stillgelegte Reaktor-Blöcke des RBMK Typs, von denen einer 1986 explodierte. Hier kam es schon vor zwei Wochen zu Kämpfen. Inzwischen kontrollieren russische Fallschirmjäger die Anlage, die weiter von ukrainischen Spezialist:innen betrieben wird. Nach den Kämpfen wurde eine etwas erhöhte Strahlung gemessen, die vermutlich durch aufgewirbelten Staub verursacht wurde. Expert:innen sehen in dieser Strahlung keine Gefahr.
Gefahr droht aber durch die schwierigen Arbeitsbedingungen für die ukrainische Mannschaft vor Ort: Seit 13 Tagen soll es keinen Schichtwechsel gegeben haben, auch soll es zu wenig Essen geben. Unter solchen Bedingungen kann es schnell zu schwerwiegenden Fehlern kommen. Die internationale Atomenergiebehörde IAEA meldete am 9. März, keine Kommunikation mehr zu den Überwachungsgeräten der Atomruine zu haben. Die IAEA kann somit also nicht feststellen, ob radioaktives Material entweicht.
Ukrainische Behörden melden außerdem, dass die Stromversorgung der Anlage ausgefallen sei. Eine Reparatur sei aufgrund von Kämpfen aktuell nicht möglich. Ohne Elektrizität können die Abfall-Behälter nicht gekühlt werden und es kann zum Austritt von radioaktivem Material kommen. Da die Anlage auch nicht belüftet werden kann, würde das auch zu einer gefährlichen Verstrahlung der Belegschaft führen.
Das Kraftwerk von Saporischschja ist das größte AKW Europas und umfasst sechs Blöcke. Die russische Armee hat diese Anlage vergangenen Freitag angegriffen. Dabei kam es zum Brand an einem Ausbildungsgebäude. Außerdem gingen Artilleriegeschosse neben einem Lager für alte Brennelemente nieder. Diese hätten die Brennelemente beschädigen und Radioaktivität freisetzen können. Saporischschja wird weiter betrieben, zwei Reaktoren liefern wieder Strom. Der Transformator von Block 6 wurde durch Beschuss beschädigt und wird aktuell gewartet, auf dem Gelände wird weiter nach Munition gesucht, die noch nicht explodiert ist. Dabei stellt auch hier die russische Besatzung eine große psychologische Belastung für die Bedien-Mannschaft dar, die zu Fehlern führen kann.
Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) drückte ihre große Sorge über die Situation dort aus. Sie kritisiert, dass die Belegschaft des Kraftwerks für jede Handlung russische Militärs um Erlaubnis fragen müsse. Das beeinflusse den ordnungsgemäßen Betrieb und stelle dadurch eine große Gefahr und einen Verstoß gegen internationaler Standards dar. Außerdem meldet die IAEO, das die Datenverbindung zu Messgeräten in Saporischschja abgebrochen sei.
In der umkämpften Stadt Charkiw wurde ein Forschungsinstitut durch russische Raketenwerfer beschossen. An diesem Forschungsinstitut wurden 1932 die ersten sowjetische Kernspalt-Experimente durchgeführt. Sollte der Reaktor des Instituts getroffen werden, droht eine Umweltkatastrophe durch Freisetzung des radioaktiven Kerns.
Wie können Unfälle verhindert werden?
Neben einem baldigen Ende des Krieges ist eine gute Kommunikation zwischen russischem Militär und ukrainischen Behörden wichtig, um folgenschwere Fehler zu verhindern. Der Generaldirektor der IAEO, Rafael Mariano Grossi, wird darum heute (10.3.) am Treffen des ukrainischen und russischen Außenministers in Antalya teilnehmen. Es ist zu hoffen, dass durch ein solches Treffen sich die Arbeitsbedingungen in den besetzen nuklearen Anlagen bald verbessern.
Weiterführende Links:
> Messungen Radioaktivität in München
> Informationen des Bundesministeriums für Umwelt zu Jod-Tabletten
> Umweltinstitut München: Weshalb Atomenergie das Klima nicht retten kann
> Scientists for Future: „Kernenergie keine Technologie zur Lösung der Klimakrise“