Der Energiecharta-Vertrag bringt die Energiewende vor Gericht
Der Vertrag über die Energiecharta (ECT) ist ein internationales Investitionsschutzabkommen, das Investor:innen die Möglichkeit gibt, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen. Dabei gilt es bereits als Enteignung, wenn ein Staat die Bedingungen für ihre Investitionen durch neue Regeln wie einen früheren Kohlausstieg verschlechtert. So bedroht der ECT die Energiewende und die Demokratie, gefährdet den Klimaschutz und kostet Milliarden an Steuergeldern.
Zeit zu gehen: Klimakillervertrag kündigen!
Vattenfall verklagt die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs auf 6,1 Milliarden Euro. Uniper zieht die Niederlande wegen ihres Kohleausstiegs vor Gericht und Italien wird zu 250 Millionen Euro Schadensersatz wegen verbotener Ölbohrungen in der Adria verurteilt. Diese Fälle stehen exemplarisch für die Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren in Handelsverträgen.
Doch kaum jemand kennt das Abkommen, das viele solcher Klagen ermöglicht: den Vertrag über die Energiecharta. Der Vertrag wurde 1994 zwischen fast allen europäischen und mittelasiatischen Staaten geschlossen, um Investitionen in den Energiesektor im ehemaligen Ostblock und den Transit von Erdöl und Erdgas abzusichern.
Im Kern handelt es sich um ein Investitionsschutzabkommen für die internationale Energiewirtschaft. Es ermöglicht Investoren, Staaten vor einem privaten Schiedsgericht auf Entschädigung bei „entgangenem“ und „voraussichtlich entgangenem“ Gewinn, bzw. „direkter“ oder „indirekter“ Enteignung zu verklagen. Und dies bereits, wenn ein Staat Bedingungen für ihre Investitionen durch neue Regeln verschlechtert.
Wir fordern: Der Vertrag über die Energiecharta muss gekündigt werden. Er schafft Sonderrechte für international agierende Konzerne, die nicht legitim sind. Er gibt ihnen ein Druckmittel, um zum Beispiel gegen den Atomausstieg oder Klimaschutzmaßnahmen vorzugehen.
Private Schiedsgerichte setzen mit dem ECT Sonderrechte für Konzerne durch
Der Vertrag schafft so doppelt Sonderrechte für international agierende Konzerne: Er gibt ihnen das exklusive Recht, vor internationalen, nicht-staatlichen Schiedsgerichten zu klagen. Zudem ermöglicht er durch Rechtsbegriffe wie „faire und gerechte Behandlung“ und „indirekte Enteignung“, dort Rechte einzufordern, die im jeweiligen nationalen Recht üblicherweise nicht existieren. Anders als in reinen Investitionsabkommen oder umfassenden Handelsabkommen wie CETA gilt der Vertrag über die Energiecharta aber nur für Investitionen im Energiesektor.
Die Zahl der Fälle vor Investor-Staat-Schiedsgerichten wird in den nächsten Jahren stark ansteigen. Der Grund dafür ist vor allem, dass große Anwaltskanzleien und Prozesskostenfinanzierer die Anregung und Betreuung von Investitionsschutzfällen als lukratives Geschäftsfeld entdeckt haben – kein Wunder bei Stundenlöhnen von 1000 US-Dollar und mehr. Sie helfen den Konzernen, die schwammigen Rechtsbegriffe aus internationalen Abkommen gezielt auszunutzen.
Der Vertrag über die Energiecharta hat ausgedient. Er ist nicht mehr zeitgemäß. Denn Investitionsschutzverträge sind ein postkoloniales Instrument, das überall auf der Welt unter scharfer Kritik steht. Doch der ECT schafft Sonderrechte für international tätige Unternehmen, die in demokratischen Rechtsstaaten nicht legitim sind. Er gibt Konzernen ein Werkzeug, um ihre Einzelinteressen gegen den Schutz von Klima, Gesundheit und Umwelt durchzusetzen. Außerdem kollidiert der Vertrag mit europäischem Recht, weil er Unternehmen aus der EU erlaubt, für die Umsetzung europäischen Rechts in anderen Mitgliedsstaaten Schadensersatz einzuklagen.
Großer Erfolg!
Nach Italien, Polen, Spanien, der Niederlande, Frankreich und Slowenien, stieg endlich auch Deutschland im Dezember 2022 aus dem Energiecharta-Vertrag aus. Der Vertrag schützte nach einer Recherche von Investigate Europe allein in Deutschland fossile Investitionen in Höhe von über 54 Milliarden Euro. Damit ist bald Schluss und das ist gut so!
20 Jahre Investitionsschutzklagen?
Nach dem Austritt aus dem Vertrag trat die sogenannte Sunset Clause, auch als Zombie-Klausel bekannt, in Kraft. Sie besagt, dass bereits getätigte Investitionen 20 Jahre lang weiterhin geschützt bleiben und über die privaten Schiedsgerichte einklagbar sind. Ein Beispiel ist die Verurteilung Italiens zu mehr als 250 Millionen Euro Schadenersatz, weil das Land Ölbohrungen in Küstennähe verboten hat. Italien ist bereits 2016 aus dem Vertrag ausgestiegen. Doch gegen diese Zombie-Klausel können sich die Regierungen wehren: Mit einem so genannten Inter-se Abkommen könnten sich die aussteigenden Staaten untereinander zusichern, sich nicht zu verklagen. Damit würde der Spielraum für Klagen erheblich eingeschränkt.
Schiedssprüche ohnehin nicht vollstreckbar
Außerdem können wir mit einem Rechtsgutachten aufzeigen, dass auch der reformierte Vertragstext gegen EU-Recht verstößt und sowohl intra-, als auch extra-EU Verfahren die Regulierungsautonomie der Europäischen Union in einem unzulässigen Maße einschränken. Damit ließen sich Schiedssprüche ohnehin nicht ohne weiteres vollstrecken. Sollten Regierungen also verklagt werden, legen wir ihnen nahe, sich mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof zu wehren. Wie das geht, zeigen wir ihnen mit unserem Gutachten auf.
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