Klage gegen die Bundesregierung wegen Kohlekraftwerk Lünen

Seit März 2024 verhandelt ein internationales Schiedsgericht über eine Klage der Schweizer Azienda Elettrica Ticinese (AET) gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die AET sieht durch die geplante Stilllegung eines Kohlekraftwerks im Zuge des deutschen Kohleausstieg ihre Investorenrechte verletzt und fordert Schadenersatz. Brisant: Bei der AET handelt es sich um ein Unternehmen in öffentlicher Hand des Kantons Tessin.

Was wie ein Randkonflikt klingt, könnte weitreichende Folgen für Klimaschutz und öffentliche Haushalte haben. Denn wenn die AET Erfolg hat, könnte das zu weiteren Klagen von Unternehmen gegen zentrale Klimaschutzmaßnahmen führen.

Paralleljustiz statt Verantwortung: Das Beispiel Lünen

Das betroffene Kraftwerk steht im nordrhein-westfälischen Lünen. Die AET hält daran rund 16 Prozent. Seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2013 hat es Verluste von mehr als 400 Millionen Euro eingefahren. Das kommt nicht von ungefähr. Jahrelang kritisieren Umweltverbände die Inbetriebnahme als unökologisch und ineffizient.

Dennoch fordert die AET nun Entschädigung für fiktive Gewinne bis ins Jahr 2053. Dabei verpflichtet ein Volksentscheid im Kanton Tessin das Unternehmen dazu, ihre Beteiligung am Kraftwerk spätestens bis 2035 zu beenden. Auch ohne das deutsche Kohleausstiegsgesetz hätte das Kraftwerk kaum länger laufen können: Der steigende CO₂-Preis und der Ausbau der Erneuerbaren machen Kohleverstromung von Jahr zu Jahr unwirtschaftlicher.

Die eigentliche Gefahr: Der Mechanismus hinter der Klage

Möglich wird diese Klage durch den umstrittenen Energiecharta-Vertrag (ECT). Dieses internationale Investitionsschutzabkommen ermöglicht Energieunternehmen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen. Solche Verfahren finden oft im Geheimen statt, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit und mit weit gefassten Investorenrechten. Auch bei der AET-Klage sind zentrale Dokumente geschwärzt.
Wenn die Klage Erfolg hat, droht eine Welle weiterer Verfahren, nicht nur in Deutschland. Zahlreiche Kohlekraftwerke in Europa befinden sich in der Hand internationaler Investoren, die dem Beispiel der AET folgen könnten.

Ein Fall mit Signalwirkung – und gefährlichem Nachahmungspotenzial

Die AET versucht, sich mit Hilfe eines intransparenten Sonderrechts auf Kosten der Allgemeinheit an einer klimaschädlichen Fehlinvestition zu bereichern. Das darf nicht Schule machen.

Wir fordern daher:

  • Die AET muss ihre Klage zurückziehen.
  • Die Schweiz muss den Energiecharta-Vertrag verlassen.
  • Investitionsschutzabkommen mit Sonderklagerechten müssen gekündigt werden.

Umweltinstitut vs. private Schiedsgerichte

Was wie eine Verschwörungstheorie klingt, ist seit über 20 Jahren Realität: Private Investoren verklagen Staaten nicht vor ordentlichen Gerichten, sondern hinter verschlossenen Türen. Und das wegen Maßnahmen, die unser aller Leben schützen sollen: beim Klimaschutz, im Gesundheitswesen oder bei der Wasserversorgung.

Das Umweltinstitut kämpft seit Jahren erfolgreich gegen diese undemokratischen Investitionsschutzabkommen mit ihren gefährlichen Investor-Staat-Klagerechten. Gemeinsam mit vielen Engagierten haben wir das TTIP-Abkommen gestoppt, die Ratifizierung von CETA bis heute verhindert und mit vereinten Kräften erreicht, dass Deutschland und die EU den Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag beschlossen haben.

Doch der Kampf ist noch nicht vorbei. Solche Klagen bedrohen weiterhin den demokratischen Handlungsspielraum im Umwelt- und Klimaschutz. Mit Ihrer Unterstützung bleiben wir auch in Zukunft dran.

Kurz erklärt: Was ist der Energiecharta-Vertrag?

Der ECT ist ein internationales Abkommen aus den 1990er Jahren, das Investoren im Energiesektor besondere Rechte einräumt. Über sogenannte Schiedsgerichte können sie Staaten verklagen, oft wegen Umwelt- oder Klimaschutzmaßnahmen.

  • Deutschland wurde bereits mehrfach unter dem ECT verklagt. Etwa wegen des Atomausstiegs.
  • Schiedsverfahren sind intransparent, teuer und gefährden die demokratische Gestaltung von Klimapolitik.
  • Zahlreiche europäische Länder, darunter Frankreich, Spanien und Deutschland haben deshalb ihren Austritt erklärt. Aufgrund einer sogenannten Sunset-Klausel können diese Länder allerdings noch 20 Jahre nach ihrer Kündigung verklagt werden. Dies macht sich auch die schweizerische AET zu Nutze.

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