Neue Energiecharta-Klagen gegen Deutschland
Letzte Woche reichte ein Schweizer Kohlekraftwerksbetreiber Klage gegen Deutschland ein: Es nutzt den Energiecharta (ECT)-Vertrag, um Deutschland wegen eines Kohlekraftwerks zu verklagen. Wie ein Zirkel von investigativen Journalisten erfahren hat, geht es dabei um das Kohlekraftwerk Lünen. Das Umweltinstitut fordert Deutschland auf, sich juristisch zu wehren.
Ludwig Essig · Lesedauer: 4 Minuten
Es ist etwa ein Jahr her, da feierten wir einen großen Erfolg: Am 21. Dezember 2022 informierte die deutsche Bundesregierung offiziell das ECT-Sekretariat in Brüssel über den Ausstieg Deutschlands aus dem Energiecharta-Vertrag. Damit ist Deutschland in knapp zwei Monaten offiziell ausgetreten und kann für zukünftige Regulierungen nicht mehr über den ECT verklagt werden. Dies gilt jedoch nicht für bereits getätigte Beschlüsse.
Schweizer Unternehmen verklagt Deutschland wegen Kohleausstieg
Diese Gelegenheit nutzt jetzt offenbar das öffentliche Schweizer Unternehmen Azienda Elettrica Ticinese (AET), welches einen 15-prozentigen Anteil am Kohlekraftwerk Lünen hält und verklagt die Bundesrepublik Deutschland. Besonders brisant ist daran auch, dass Deutschland bereits der LEAG, Betreiber ostdeutscher Braunkohletagebaue und -kraftwerke, über 1,7 Milliarden Euro für einen Klageverzicht gegen den Kohleausstieg bezahlt hat.
Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS): ein lukratives Geschäft
Vertreten wird AET durch die Hamburger Kanzlei Luther, welche bereits unzählige ECT-Klagen gegen Deutschland anführte, darunter auch die zwei symbolträchtigen Fälle mit Vattenfall. So erreichten sie mit einer Klage von 2006, dass Hamburg seine Wasserschutzrichtlinien zum Vorteil eines Kohlekraftwerks senken musste. 2011 verklagte Vattenfall dann die Bundesrepublik Deutschland auf 4,3 Milliarden Euro zuzüglich Zinsen wegen entgangener Gewinne aus zwei seiner Atomkraftwerke wegen des Atomausstiegs. Vattenfall erhielt nach einem Vergleich über 1,4 Milliarden Euro Entschädigung für den beschleunigten Atomausstieg – deutlich mehr als die Summe, von der das deutsche Umweltministerium ausgegangen war. Für die Kanzlei Luther ist das ein lukratives Geschäft, denn Anwaltskanzleien verdienen an ISDS-Fällen bis zu 1.000 US-Dollar pro Stunde.
Auch nach dem Beschluss Deutschlands, den ECT zu verlassen, ist die Klage von AET kein Einzelfall: Kurz vor Fertigstellung dieses Textes wurde bekannt, dass am 24. Oktober das britische Öl- und Gasunternehmen Klesch Group Holdings Limited and Raffinerie Heide GmbH drei weitere Klagen unter dem ECT gegen Deutschland, Dänemark und die EU einreichte. Auch in diesem Fall sind die genaueren Hintergründe bisher unbekannt.
Kommt unser Rechtsgutachten jetzt zur Anwendung?
Ende letzten Jahres veröffentlichten wir ein Rechtsgutachten, welches den verklagten Staaten ein Instrument an die Hand geben soll, sich in genau solchen Fällen zu wehren. Dafür beauftragten wir eine für Umwelt- und Staatsrecht international renommierte Kanzlei mit einer Untersuchung.
Herausgekommen ist ein ca. 40-seitiges Rechtsgutachten, mit dem wir folgende Punkte aufzeigen:
- Schiedsverfahren des ECT verstoßen auch bei Verfahren zwischen einem außereuropäischen Staat und einem EU-Land gegen die Autonomie des Unionsrechts und sind damit unwirksam.
- Klagen eines ausländischen Investors gegen EU-Staaten sind ebenfalls illegal. Doch genau diese ermöglicht der ECT.
- Wenn ein EU-Mitgliedstaat von einem Schiedsgericht zu Schadensersatzzahlungen verurteilt wird, wäre der Schiedsspruch deshalb grundsätzlich in der EU nicht vollstreckbar.
- “(…) die mitgliedstaatlichen Gerichte [sind] bereits nach der geltenden Rechtslage in der Pflicht, die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in der EU zu unterbinden“ (siehe Bericht S. 36).
Investitionsschutzklagen innerhalb der EU verstoßen gegen europäisches Recht und die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen kann dem Gutachten zufolge wirksam angefochten werden. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, sich gegen die Klagen von AET und der Klesch Group juristisch zu wehren und sollte es zu einer Verurteilung kommen, nicht zu bezahlen!
Zeit, aus dem Energiechartavertrag auszusteigen
Nach Italien, Polen, Spanien, den Niederlanden, Frankreich und Slowenien verkündete auch Deutschland im Dezember 2022 seinen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag. Und selbst die EU-Kommission, ehemals eine der größten Verfechterinnen des Vertrags, fordert die europäischen Mitgliedsstaaten mittlerweile zu einem koordinierten Ausstieg auf. Doch eine Mehrheit hierfür ist im Rat momentan nicht in Sicht. Und selbst Staaten, in denen die Grünen an der Regierung beteiligt sind wie Österreich, sind noch nicht ausgestiegen. Wir können nur hoffen, dass die aktuellen Klagen ein weiterer Warnschuss an alle noch unentschlossenen Regierungen sind, endlich diesen veralteten und klimaschädlichen Vertrag zu verlassen!
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