“Die Ablehnung des Radentscheid Bayern war juristische Haarspalterei”
Die Radentscheid-Beauftragte und Vorsitzende des ADFC Bayern, Bernadette Felsch, gibt sich im Interview mit dem Umweltinstitut München enttäuscht über die Ablehnung des Volksbegehrens durch den bayerischen Verfassungsgerichtshof. Der Radentscheid Bayern sei aber alles andere als gescheitert: ohne den beharrlichen Druck aus der Zivilgesellschaft hätte die CSU niemals ein eigenes Radgesetz in den Landtag eingebracht.
Dr. Leonard Burtscher · 2 Minuten Lesezeit
Radfahren erfreut sich auch in Bayern immer größerer Beliebtheit, Radreisen und Radtourismus boomen. Im Alltag ist die Fortbewegung auf zwei Rädern aber immer noch viel zu oft kompliziert und vor allem gefährlich; an sicheren und vor allen Dingen durchgängigen Fahrradrouten mangelt es sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Zwar gab es bereits etliche Radentscheide auf kommunaler Ebene, deren Umsetzung zieht sich aber schleppend dahin. Mit einem Radgesetz gäbe es die Möglichkeit, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der Verfahren, Standards und Zuständigkeiten klar regelt. Der “Radentscheid Bayern” (REBY) wollte genau dies mit seinem Radgesetz für Bayern per Volksentscheid erreichen und unter anderem gesetzlich verankern, dass bei jedem Straßenneubau und bei jeder Straßensanierung der Radverkehr mitgedacht werden muss. Der REBY sammelte dazu im vergangenen Jahr mehr als die vierfache Anzahl der notwendigen Unterschriften und erreichte damit nicht nur das Quorum für den Zulassungsantrag, sondern machte es im ersten Schritt gleich zu einem politischen Erfolg — ein zu großer Erfolg, wie sich herausstellte. Der CSU war dieses Radgesetz, zumal im Wahljahr, offenbar ein Dorn im Auge. Das bayerische Innenministerium zögerte die Antwort auf den Zulassungsantrag bis zum letzten Tag hinaus und verwies den Antrag dann an den bayerischen Verfassungsgerichtshof. Dieser entschied letzte Woche in einem umstrittenen Urteil, dass der REBY nicht zum Volksentscheid zugelassen wird. Wir wollten aus diesem Anlass von der Radentscheid-Beauftragten und bayerischen ADFC-Vorsitzenden Bernadette Felsch wissen, wie es dazu kommen konnte.
Umweltinstitut: Der Radentscheid Bayern wurde letzte Woche abgelehnt. Hat euch die Entscheidung des bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH) überrascht?
Bernadette Felsch: Jein. Wir wussten natürlich, dass fast alle Volksbegehren, die dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt worden waren, als nicht zulässig erklärt worden sind. Die einzige Ausnahme davon war zuletzt das Volksbegehren über die Studiengebühren. Dennoch haben wir gehofft, so sauber gearbeitet zu haben, dass unser Antrag genehmigt wird. Die Argumente des Innenministeriums gegen unseren Antrag haben uns überhaupt nicht überzeugt und wir haben gehofft, dass die bayerischen Verfassungsrichter das auch so sehen. Das Innenministerium brachte im Wesentlichen zwei Argumentationslinien gegen den Radentscheid in Stellung: einerseits monierten sie die Kosten, die unser Radgesetz angeblich auslösen würde und die ein unzulässiger Eingriff in die Haushaltshoheit des Landtages wären, andererseits behaupteten sie, ein paar unserer Artikel beträfen zumindest teilweise auch Bundesrecht. Letzteres ist kleinlich, war am Ende aber ausschlaggebend. Es hat uns gewurmt, wie der Verfassungsgerichtshof dieses Argument dargestellt hat — als ob wir nicht wüssten, wie die Gesetzgebungskompetenz funktioniert. Das Kostenargument hat den bayerischen Verfassungsgerichtshof dagegen vielleicht schon überzeugt, denn sie haben dazu nichts ausgeführt. In jedem Fall war auch dieses Argument kleinlich: Nach Abzug von Bundesförderung und Kosten, die Kommunen ausgeben sowie von Kosten, die ohnehin schon vorher veranschlagt waren, hätte der REBY nur einen minimalen Beitrag im Landeshaushalt ausgemacht. Außerdem wurde der Nutzen für den Radverkehr nicht angerechnet, obwohl es bei Straßenbaumaßnahmen Standard ist, einen Nutzen wie die Zeitersparnis gegenzurechnen.
Wenn nur wenige Stellen moniert worden sind, hätte der bayerische Verfassungsgerichtshof aber doch auch eine Teilzulässigkeit erklären können, oder?
Ja, das hat er in der Vergangenheit schon gemacht und hätte er auch beim REBY machen können; wir haben explizit gesagt, dass wir damit einverstanden wären! Der BayVerfGH hat aber vorgetragen, es sei ein Fehler, das in der Vergangenheit so gemacht zu haben, denn diejenigen, die für das Gesetz unterschrieben hätten, wollten es genau in dem Wortlaut und nicht nur einen Teil. Dabei haben die wenigsten Unterstützer:innen jedes Wort des vorgeschlagenen Gesetzes gelesen, sondern wollten einfach nur, dass Radfahren schnell sicherer wird!
Ist die Ablehnung nachvollziehbar?
Meiner Meinung nach ist das ziemliche Haarspalterei. Der BVerfG hat geurteilt, dass er gleichlautende Passagen, wie die, die er bei uns moniert hat, in den Radgesetzen in NRW und Berlin im Konflikt mit dem Bundesrecht sieht. Was in anderen Ländern bei demselben Bundesrecht rechtmäßig ist, ist das in Bayern aber nicht? Offenbar ticken in Bayern die Uhren immer noch anders. In jedem Fall sind die beanstandeten Passagen sehr kleinteilig begründet, was der vorsitzende Richter selbst so gesagt hat. Wir fordern im REBY beispielsweise, dass Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrer:innen freigegeben werden sollen. Das gehe laut BayVerfGH zu weit, weil es in der StVO dazu nur eine „kann“-Regel gibt und unser “Soll” angeblich kein “Kann” sei, sondern als “Muss” auszulegen wäre. Vor Schulen zu Hol- und Bringzeiten den Verkehr zu beruhigen, gehe auch nicht. Dabei haben wir immer schon gesagt, dass unsere Regeln die StVO weder ersetzen noch verändern sollen — unser Hauptziel ist die Verbesserung der Verkehrssicherheit im Rahmen der StVO , um die „Vision Zero“ zu verwirklichen — damit niemand mehr im Straßenverkehr tödlich verletzt wird.
Könnt ihr das Urteil noch anfechten?
Nein, es gibt keine Revisionsmöglichkeit. Das Mietenstopp-Volksbegehren hat es einmal vor dem Bundesverfassungsgericht probiert, dort aber verloren.
Ist der REBY damit jetzt gescheitert?
Nein, wir sind gar nicht gescheitert. Der REBY war ein Riesenerfolg! Wir hatten einen riesigen Zulauf und zwar gerade auch auf dem Land. Das hätten wir uns gar nicht gedacht! Die Leute sind sehr interessiert, mit dem Radl von A-Dorf nach B-Dorf zu kommen. Die CSU hat das offenbar gemerkt, weil sie nun plötzlich so viel für den Radverkehr gemacht haben, wie seit 20 Jahren nicht. Am Ende hat die CSU übrigens auch zugegeben, dass ihr eigenes Radgesetz [das sich derzeit im parlamentarischen Verfahren befindet, Anm. Umweltinstitut] nicht gekommen wäre ohne den REBY. Dabei hatten uns sämtliche CSU-Verkehrsminister:innen seit 2017 immer gesagt: so ein Gesetz wollen wir nicht, es sei nur Bürokratie und Eingriff ins Selbstverwaltungsrecht der Kommunen; und nun kommt es plötzlich doch! Nachdem ich im Innenministerium angerufen und gefragt habe, wann wir die 100.000 Unterschriften für den Zulassungsantrag übergeben können, hat es genau einen Tag gedauert, bis Markus Söder gesagt hat: wir brauchen ein Radgesetz – und das schreiben wir selbst!
Wie unser Volksbegehren aus dem Weg geräumt werden konnte, macht mir allerdings Sorgen. Akribischer als wir kann man eigentlich nicht arbeiten und wir konnten viele Ressourcen und auch Spenden mobilisieren und auf eine renommierte Kanzlei zurückgreifen. Sowas ist wirklich nicht von allen Bürger:innen zu schaffen. Trotzdem entscheidet letztlich offenbar die CSU-Regierung, die an allen entscheidenden Stellen an den Hebeln der Macht sitzt, ob ein Volksbegehren durchkommt oder nicht. Ich denke, das ist definitiv nicht im Sinne der Verfassungsväter (und hoffentlich auch Verfassungsmütter), die mit den Direktdemokratie-Artikeln garantiert eine echte Chance für die Volksgesetzgebung einräumen wollten.
Was ist denn nun von dem Radgesetz der CSU zu halten. Wird es den Radverkehr in Bayern voranbringen?
Ja, die haben schon zugehört und unseren Gesetzentwurf aufmerksam gelesen; der CSU-Entwurf ist besser geworden als anfangs befürchtet. Sie haben auch Dinge reingeschrieben, die wir nicht reinschreiben durften bezüglich Ressourcen, Budget und Stellen. Das freut mich.
Aber insgesamt fällt das Gesetz deutlich kürzer aus als unser Entwurf; es stehen viele Dinge drin, die es bereits gibt (z.B. Verkehrserziehung) und auch einige seltsame Dinge. Zum Beispiel, dass erstmal ein Beschilderungskonzept für Bayern erarbeitet werden müsse, dabei gibt es das schon, und zwar bundesweit, seit vielen Jahren. Viele Passagen sind aber wirklich mau. So ist zwar von einer Verdoppelung der Radpauschale auf 80 Millionen Euro pro Jahr die Rede; im Vergleich zum Autoverkehr ist das aber immer noch marginal: Bayern gibt 694 Millionen Euro für Autostraßen aus, jedes Jahr! Von einer Verkehrswende sind wir mit diesem Gesetz weit entfernt, denn bei Autostraßen ist nun wirklich kein Nachholbedarf, bei Radwegen aber schon. Außerdem sollen von den 80 Millionen Euro auch versprochene Leistungen abgezogen werden, etwa die Zahlungen, die der Freistaat als Kompensation für das 1 €-Ticket [für die Fahrradmitnahme, Anm. Umweltinstitut] demnächst an die Bahngesellschaften leisten muss.
Wie geht es denn jetzt weiter? Könnte der REBY sein eigenes Gesetz, abzüglich der beanstandeten Passagen, nicht einfach nochmals einreichen?
Das wäre ein riesiger logistischer Aufwand, aber das größte Manko wäre, dass es voraussichtlich in wenigen Wochen ja ein Radgesetz geben wird. Sobald es ein Gesetz gibt, kann man das nicht mehr als neues Gesetz fordern. Sobald es ein Radgesetz gibt, und das soll ja in wenigen Wochen der Fall sein, müssten wir Änderungsforderungen formulieren. Die können wir freilich erst aufstellen, wenn das CSU-Gesetz verabschiedet ist. Erstmal müssen wir nun also den Gesetzesprozess abwarten und uns dann das fertige Gesetz genau anschauen.
Bis zur Landtagswahl machen wir auf jeden Fall weiter und halten den Druck weiter aufrecht. Wir werden wiederholen, dass wir es nicht in Ordnung finden, dass wir im Gegensatz zu den Radentscheiden in NRW und Berlin gar nicht in den Gesetzgebungsprozess eingebunden worden sind und werden auch deutlich machen, was fehlt. Beispielsweise, dass bei jedem Neu- und Umbau der Radverkehr endlich mitgedacht wird. Außerdem werden wir nun auch vermehrt auf Bundesebene schauen müssen, dass „Flüssigkeit und Leichtigkeit des Autoverkehrs“ [die bislang als Ziele des Straßenverkehrs vorgeschrieben sind, Anm. Umweltinstitut] nicht mehr weit, weit, weit vor der Sicherheit des Fuß- und Radverkehrs steht.
Diese mühsamen Verfahren über Jahre zu begleiten muss wirklich ermüdend sein. Was macht dir Mut und gibt dir Kraft?
Ich finde es einfach super, dass so viele Leute so toll mitgemacht haben beim REBY, dass es in jedem Landkreis so viele Aktive gegeben hat. Das gibt mir viel Kraft und Mut und zeigt, dass wir am Puls der Zeit sind und für das Richtige kämpfen. Ich bitte alle Fahrrad-Aktiven gerade jetzt nicht aufzuhören, um für sicheren Radverkehr zu kämpfen und den Druck aufrechtzuerhalten.
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