„Auf gar keinen Fall klein beigeben, sondern weitermachen.“
Weil wir den hohen Pestizideinsatz in den Südtiroler Apfelplantagen kritisiert haben, wurden wir in Südtirol vor Gericht gezerrt. Doch am Ende eines langen Verfahrens siegte die Meinungsfreiheit. Der ebenfalls angeklagte Autor Alexander Schiebel hat über diese Zeit ein Buch geschrieben, das nun erschienen ist.
Spannend wie in einem Krimi erzählt Autor Alexander Schiebel in seinem neuen Buch „Gift und Wahrheit“, wie der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler und die Obstlobby versucht haben, das Umweltinstitut und ihn selbst mit rechtswidrigen Klagen einzuschüchtern und mundtot zu machen. Der ungleiche Kampf, der als Südtiroler Pestizidprozess bekannt wurde, ist eine Blaupause, die zeigt, wie es dem kleinen David gelingen kann, den großen Goliath zu besiegen. Im Interview lassen Alexander Schiebel und Veronika Feicht, unsere Expertin für so genannte SLAPP-Klagen, die Ereignisse Revue passieren.
Alexander, wie hat es sich für dich angefühlt, als du von der Anzeige gegen dich erfahren hast?
Alexander Schiebel: Als ich das erste Mal von der Anzeige durch den Agrarlandesrat Schuler, danach durch die Vorstände der Obstkonzerne, und des Bauernbundes und schließlich durch 1.372 Obstbauern erfuhr, war das zwar irgendwie unheimlich, aber auch absurd. Ich dachte, dass keine Staatsanwaltschaft auf der Welt aufgrund unserer Kritik am Pestizideinsatz einen Prozess eröffnen würde. Doch die Anzeigen führten tatsächlich zwei Jahre später zu sechs verschiedenen Gerichtsverfahren – gegen Karl Bär, den damaligen Agrarreferenten des Umweltinstituts, und mich, gegen meinen Verleger Jacob Radloff und gegen die aktuellen und ehemaligen Vorstände im Umweltinstitut München. In den ersten Wochen und Monaten danach fühlte ich mich sehr alleingelassen und hilflos. Erst als ich beschloss diese unglaubliche Geschichte in einem Buch zu verarbeiten, das ich Unterstützer:innen als Dankeschön für ihre Unterstützung anbot, begann es mir emotional besser zu gehen.
Es stand schnell für alle Beteiligten fest, dass wir uns durch diese Anzeigen nicht zum Schweigen bringen lassen. Wie würdet ihr die letzten Wochen vor dem ersten Prozesstag beschreiben?
Veronika Feicht: In dieser Zeit arbeiteten wir fast ausschließlich an unserer Verteidigung, vor Gericht und in der Öffentlichkeit. Wir feilten mit unserem Anwaltsteam an unserer juristischen Strategie, gaben Interviews, schrieben Pressemitteilungen auf Deutsch, Italienisch und Englisch und bereiteten eine mehrsprachige Pressekonferenz und eine Demonstration vor dem Gericht vor.
Alexander Schiebel: In einem meiner Lieblingskapitel in „Gift und Wahrheit“ beschreibe ich, welchen Aufwand das Umweltinstitut betrieben hat, um den Prozess vorzubereiten. Ich nenne das im Buch die „Arbeit an der Solidarität“: der Solidarität anderer NGOs, der Solidarität von Politiker:innen, der Solidarität der Medien und vor allem auch der Bevölkerung, der Unterstützer und Unterstützerinnen. Dieser totale Einsatz war extrem professionell, für mich aber auch gleichzeitig sehr berührend.
Wie ging es danach weiter?
Alexander Schiebel: Sehr schnell war klar, dass die Südtiroler Obstwirtschaft den Prozess am liebsten wieder abblasen wollte. Doch sie hatte Schwierigkeiten, die über 1.3700 Obstbauern, die sie in den Prozess gehetzt hatten, wieder „einzufangen“. Außerdem versuchte die Apfellobby verzweifelt die beschlagnahmten „Spritzbücher“ wieder in ihren Besitz zu bringen. Diese Spritzbücher enthalten nämlich genau Informationen über die tatsächliche Menge der eingesetzten Pestizide. Ein Datenschatz! Natürlich hat das Umweltinstitut sie nicht zurückgeben, sondern ausgewertet und veröffentlicht.
Veronika Feicht: Bis die letzte Anzeige zurückgezogen war, vergingen insgesamt noch fast anderthalb Jahre. In dieser Zeit mussten wir immer wieder zu Gerichtsterminen nach Bozen fahren und nach wie vor viel Zeit, Energie und auch Geld in das laufende Strafgerichtsverfahren investieren. An der Stelle gilt unser besonderer Dank auch den vielen Menschen, die uns dabei mit einer Spende oder Fördermitgliedschaft unterstützt haben.
Einschüchterungsklagen wie der Pestizidprozess sind ja leider kein Einzelfall. Was wollen die Kläger:innen damit bezwecken?
Veronika Feicht: Denjenigen, die solche Klagen anzetteln, geht es gar nicht darum, vor Gericht Recht zu bekommen, sondern darum, kritische Stimmen mundtot zu machen und auch andere abzuschrecken. Mit den Klagen wird versucht, die finanziellen und zeitlichen Ressourcen der Angeklagten zu erschöpfen und sie psychologisch zu zermürben. Die juristische Attacke soll so viel Druck aufbauen, dass man einknickt und kritische Äußerungen zurückzieht. Man spricht bei dieser Art von Klagen von sogenannten SLAPPs – strategic lawsuits against public participation, also strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Dabei handelt es sich um Justizmissbrauch. Schließlich spannen hier mächtige Personen oder Unternehmen Gesetze und Gerichte vor den Karren, um unerwünschte Kritik loszuwerden.
Was kann man gegen solche Einschüchterungsklagen tun?
Alexander Schiebel: Auf gar keinen Fall klein beigeben, sondern weitermachen. Und zwar möglichst offensiv. Dazu muss man sich jedoch Verbündete suchen: hervorragende Anwälte:innen, darüber hinaus Organisationen, die professionelle Öffentlichkeitsarbeit betreiben und – ganz wichtig – auch professionelles Fundraising. Wir dürfen nicht vergessen, dass hier der kleine David in den meisten Fällen einem gewaltigen Goliath gegenübersteht. Ganz ohne Vorbereitung und ganz ohne Mittel sollte er nicht gegen ihn antreten.
Veronika Feicht: Wir brauchen aber auch gesetzliche Regelungen, damit Betroffene vor SLAPPs geschützt und diejenigen bestraft werden, die unser Rechtssystem missbrauchen, um Kritiker:innen einzuschüchtern. Und hier können wir endlich einen großen Erfolg verbuchen: Gerade eben hat die EU sich auf eine Art europäisches Gesetz gegen SLAPPs geeinigt!
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Weitere Infos über den Pestizidprozess und über SLAPP-Klagen
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Hintergrundinfos
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