Luftmessungen in Brandenburg: Pestizide aus dem Ackerbau belasten Schutzgebiete
Dass sich Ackergifte kilometerweit durch die Luft verbreiten, konnten wir mit einer deutschlandweiten Studie bereits belegen. Auch im und um das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin konnten wir in einer Untersuchung Rückstände von Pestiziden in der Luft nachweisen. Das Biosphärenreservat beheimatet streng geschützte und artenreiche Lebensräume. Um das Artensterben aufzuhalten, müssen solche Schutzgebiete auch vor dem Einfluss von Pestiziden sicher sein.
Sophia Guttenberger · 4 Minuten
Für unsere Untersuchung standen in den Landkreisen Barnim und Uckermark in Brandenburg für die Dauer von einem Jahr (von September 2018 bis September 2019) an vier Standorten sogenannte Passivsammler sowohl innerhalb des Biosphärenreservats als auch auf daran angrenzenden Flächen. Direkt angrenzend an das Biosphärenreservat findet intensiver konventioneller Ackerbau statt. Und auch im Biosphärenreservat selbst wird Ackerbau betrieben, auf etwa einem Viertel der Gesamtfläche. Etwa ein Drittel davon sind ökologisch bewirtschaftete Ackerflächen. Von den 26 Stoffen, nach denen wir gesucht haben, konnten in den Sammelmedien neun verschiedene Pestizidwirkstoffe und ein Abbauprodukt nachgewiesen werden.
Unsere wichtigsten Ergebnisse:
- An allen vier Messpunkten in und um das Biosphärenreservat wurden Rückstände von Pestiziden gefunden.
- An dem an das Biosphärenreservat angrenzenden Standort, der sich in der Nähe intensiv bewirtschafteter Flächen befindet, war die Belastung erheblich höher als in der Kernzone des Schutzgebiets.
- Es können teilweise mehrere Stoffe gleichzeitig in den Sammelmedien nachgewiesen werden, in diesen Zeiten sind Mensch und Umwelt einem Pestizid-Cocktail ausgesetzt.
- Selbst inmitten der Kernzone des Biosphärenreservats, die vor jeglichem menschlichem Eingriff geschützt sein sollte, konnten wir Pestizide nachweisen.
- Mit den Herbiziden Flufenacet und Terbuthylazin wurden zwei besonders bedenkliche Wirkstoffe – sie gefährden das Grundwasser – an allen Standorten nachgewiesen.
- Von den acht zum Messzeitpunkt zugelassenen Pestizidwirkstoffen sind vier so gefährlich für Umwelt und Gesundheit, dass die EU sie durch weniger riskante Stoffe ersetzen möchte: Aclonifen, Chlortoluron, Diflufenican und Flufenacet.
- Fast 30 Jahre nach dem Verbot in der ehemaligen DDR kann immer noch DDT in der Luft nachgewiesen werden.
Unsere Einschätzung:
Dass sich Ackergifte kilometerweit durch die Luft verbreiten, hat unsere deutschlandweite Studie bereits belegt. Mensch und Umwelt sind diesen sich unkontrolliert ausbreitenden Stoffen ständig ausgesetzt. Und sogar in ausgewiesenen Schutzzonen ist die Natur nicht vor deren Einfluss sicher.
Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wie es zu der starken Verbreitung von Pestizidwirkstoffen kommt. Beim Zulassungsverfahren von Pestizidwirkstoffen auf EU-Ebene und bei der Zulassung der einzelnen Mittel auf nationaler Ebene wird bisher nicht ausreichend berücksichtigt, wie weit sich Wirkstoffe unter realen Bedingungen tatsächlich verbreiten.
Bei der Zulassung von Pestiziden wird die gängige Praxis kaum beachtet: Landwirt:innen bringen pro Spritzvorgang mehrere Pestizide gleichzeitig aus oder spritzen kurz hintereinander. Wenn verschiedene Wirkstoffe oder Spritzmittel miteinander vermischt werden, kann dies die Wirkung der Stoffe beeinflussen. Sie kann sich etwa verstärken, oder es ergeben sich völlig neue und unvorhersehbare Auswirkungen.
Es gibt kein systematisches Monitoring von Pestiziden in der Luft. Infolgedessen gibt es keine offiziellen Daten zu dem Problem.
Was wir fordern
- Die EU muss den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis 2035 schrittweise beenden und die Landwirt:innen bei der Umstellung auf Ökolandbau unterstützen – so wie es EU-weit mehr als 1,2 Millionen Menschen mit der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ fordern.
- Bis zur umfassenden Agrarwende fordern wir übergangsweise ein Anwendungsverbot von Pestiziden innerhalb von Schutzgebieten sowie die Ausweisung von Zonen rund um Schutzgebiete, in denen keine Pestizide eingesetzt werden dürfen.
- Die Zulassungsverfahren für Pestizide müssen dringend reformiert werden: Darin müssen Cocktail-Effekte ebenso berücksichtigt werden wie die tatsächliche Verbreitung von Pestiziden über die Luft.
- Zudem fordern wir die Einführung eines Post-Zulassungs-Monitorings, also eine kontinuierliche Überwachung der Verbreitung von zugelassenen Wirkstoffen in der Umwelt.
- Außerdem muss es die Möglichkeit geben, den Einsatz auffälliger Wirkstoffe – hinsichtlich Gefährdung von Mensch und Umwelt oder dem Ausmaß der Verbreitung – umgehend zu unterbinden. Und zwar auch, wenn diese eine gültige Zulassung auf EU-Ebene besitzen.
- Ein weiterer wichtiger Punkt ist die bundesweite Einführung eines einheitlichen und öffentlich zugänglichen Transparenzregisters, in dem jede:r die realen Pestizideinsätze in der Landwirtschaft unkompliziert einsehen kann.
Was die Politik tun kann
Mit unserer Untersuchung konnten wir Pestizidwirkstoffe in einer Kernzone eines Biosphärenreservats nachweisen. Die Natur sollte an solchen Orten im Sinne des Erhalts der Artenvielfalt vor menschlichen Eingriffen geschützt sein. Um diesen Schutz zu gewährleisten, muss die Politik sofort Maßnahmen ergreifen: Das Ausbringen von Pestiziden in Schutzgebieten muss grundsätzlich verboten werden. Außerdem müssen pestizidfreie Pufferzonen rund um Schutzgebiete geschaffen werden, die verhindern, dass die Pestizide in sensible Lebensräume eindringen können.
Der Brandenburger Landtag diskutiert derzeit Gesetzesänderungen, die den Einsatz von Pestiziden in Naturschutz- und FFH-Gebieten sowie an Gewässerrandstreifen verbieten sollen. Vielen Menschen in Brandenburg ist die Artenvielfalt ein großes Anliegen: Die Vorschläge für die Gesetzesänderungen sind ein Ergebnis der erfolgreichen Volksinitiative „Artenvielfalt retten – Zukunft sichern“, die sich dafür einsetzt, dass Brandenburgs einzigartige Kulturlandschaft geschützt und naturnahe Landwirtschaft stärker gefördert wird.
Wir empfehlen dem Brandenburger Landtag dringend, unsere neuen Erkenntnisse in die Verhandlungen einfließen zu lassen und unsere daraus resultierenden Forderungen nach einem Pestizidverbot in Schutzgebieten und Pufferzonen umzusetzen.
Unterstützen Sie unsere Projekte
Seit 1986 betreiben wir unabhängige Forschung, um die Belastung von Mensch und Umwelt aufzuzeigen und daraus politische Forderungen abzuleiten. Forschungsprojekte wie unsere Pestizidmessungen kosten viel Geld und Arbeitskraft. Ihre Beiträge und Spenden machen diese wichtige Arbeit erst möglich.
Weiterführende Links:
> Hier geht es zu unseren Infoseiten über Pestizide
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