Die Südtiroler Tourismusbranche wird nicht begeistert sein: Während man sich darum bemüht, dass die Menschen beim Wort „Südtirol“ an Bergpanorama, Wellness und Wanderglück denken, kommt vielen Menschen inzwischen wohl etwas ganz Anderes in den Sinn: SLAPPs (strategic lawsuits against public participation). Denn immer wieder greifen die Mächtigen in der nördlichsten Provinz Italiens zu diesem Mittel, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen – oder zumindest dies zu versuchen. Nachdem die Südtiroler Landesregierung schon die Pestizidgegner:innen vom „Malser Weg“ mit Einschüchterungsklagen mundtot machen wollte, war zuletzt auch das Umweltinstitut in Form des sogenannten Pestizidprozesses von einem SLAPP aus Südtirol betroffen. Erst nach einem langen und mühevollen Verfahren endete dieser im Mai 2022 in einem Freispruch für uns.

Goliath gegen David: Angriff auf die Pressefreiheit in Südtirol

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Kein Schutz für SLAPP-Opfer?

Damit solche SLAPPs nicht weiter genutzt werden können, um die Presse- und Meinungsfreiheit in Europa einzuschränken, haben wir im vergangenen Jahr 200.000 Unterschriften an die EU-Vizepräsidentin Věra Jourová übergeben und ein europäisches Anti-SLAPP-Gesetz gefordert. Und unser Druck hat Wirkung gezeigt: Im April 2022 präsentierte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine europäische Anti-SLAPP-Richtlinie. Mit dieser Richtlinie – einer Art EU-Gesetz, das alle 27 Mitgliedstaaten in nationales Recht übersetzen müssen – will die Kommission dem Justizmissbrauch durch SLAPPs den Kampf ansagen und Betroffene besser schützen.

Geplante Maßnahmen gegen SLAPPs:

  • Frühzeitige Abweisung: „Geslappte“ Menschen sollen die Möglichkeit bekommen, beim Gericht einen Antrag auf frühzeitige Abweisung der Klage zu stellen. Der/die Richter:in muss dann den Verdacht überprüfen, dass es sich um eine missbräuchliche Klage handeln könnte. Sollte sich der Verdacht bestätigen, kann das Gericht die Klage abweisen, bevor die eigentliche Gerichtsverhandlung überhaupt beginnt.
  • Umkehr der Beweislast: In diesem Fall müssen nicht die Menschen, die vor Gericht gezerrt werden, beweisen, dass es sich um einen SLAPP handelt. Vielmehr müssen die Kläger:innen beweisen, dass es sich bei ihrem Vorgehen nicht um einen SLAPP handelt.
  • Kostenausgleich: Wird eine Klage vom Gericht als SLAPP identifiziert und frühzeitig abgewiesen, sollen die Kläger:innen verpflichtet werden können, die zur Unrecht Angeklagten für die entstandenen Kosten zu entschädigen.
  • Sanktionen: Diejenigen, die SLAPPs anzetteln, sollen durch Strafzahlungen sanktioniert werden können. Dadurch sollen Unternehmen, Regierungsvertreter:innen und mächtige Einzelpersonen davon abgehalten werden, Kritiker:innen vor Gericht zu zerren. Bisher gibt es für diejenigen, die auf diese Art unsere Rechtssysteme missbrauchen, keinerlei negative Konsequenzen zu befürchten.

 

Hart erkämpftes Anti-SLAPP-Gesetz in Gefahr

Doch nun droht die massive Verwässerung der geplanten Anti-SLAPP-Richtlinie bis hin zur völligen Bedeutungslosigkeit. Denn bevor die Richtlinie verabschiedet werden kann, muss der Europäische Rat, also die Vertretung der Regierungen aller EU-Länder, zustimmen. Viele Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, hegen jedoch Vorbehalte gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen gegen SLAPPs. Daher hat der Europäische Rat jetzt einen Kompromissvorschlag für die Anti-SLAPP-Richtlinie präsentiert, der in dieser Form auf keinen Fall verabschiedet werden darf! Denn entscheidende Schutzmaßnahmen für SLAPP-Betroffene wurden gestrichen und die Anwendung der Richtlinie so weit eingeschränkt, dass sie kaum eine Wirkung hätte.

Deswegen haben wir gemeinsam mit unseren Verbündeten an den deutschen Justizminister Marco Buschmann geschrieben und gegen die Änderungen protestiert. Wir fordern: Die deutsche Bundesregierung muss endlich ihre Blockadehaltung aufgeben und sich für für ein gutes und wirksames europäisches Anti-SLAPP-Gesetz stark machen, wie im Koalitionsvertrag versprochen!

Mehr zum Thema

Alle Informationen über SLAPPs finden Sie hier.

SLAPPs - Ein Angriff auf Demokratie und Meinungsfreiheit

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Mit SLAPPs (strategic lawsuits against public participaton) sollen kritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Das Phänomen macht EU-weit Schule und bedroht unsere Demokratie im Kern. Doch Europas Zivilgesellschaft steht auf und wehrt sich gegen den Justizmissbrauch.

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