Nach Kritik: Austrittswelle beim Lobbyverband Zukunft Gas
Seit Monaten steht die Mitgliedschaft zahlreicher Stadtwerke beim Gaslobby-Verband Zukunft Gas in der Kritik. Der Grund: Der Lobbyverband steht großen, fossilen Firmen nahe und betreibt eine starke Pro-Gas-Agenda. Einige Stadtwerke reagieren nun mit Austritten: Binnen eines Jahres sind insgesamt 26 (ursprünglicher Stand 13.06.: 15) Stadtwerke bei Zukunft Gas ausgetreten. Weitere Stadtwerke haben ihren Austritt bereits angekündigt.
(aktualisiert am 24.09.2023)
Seit Wochen machen Gruppen wie das Umweltinstitut München, WeiterSo!, 350.org und Lobbycontrol auf die Mitgliedschaft von Stadtwerken bei Zukunft Gas aufmerksam. Außerdem werden lokale Gruppen aktiv, wie etwa in Frankfurt am Main und Rostock.
Henning Peters, Referent für Energie- und Klimapolitik am Umweltinstitut München: “Zukunft Gas macht Anti-Klimaschutzpolitik. Es ist eine kluge Entscheidung, dass zahlreiche Stadtwerke Zukunft Gas nun den Rücken kehren. Ein Stadtwerk der Zukunft kann nur sein, wer erkannt hat, dass die Zeit der fossilen Energieträger abgelaufen ist.”
Sofia Rodriguez, Senior Organiser von 350.org: “Ob Waldbrände in Kanada oder Dürren in Europa – die Folgen der Klimakrise sind bereits deutlich spürbar. Stadtwerken und Kommunen kommt eine Schlüsselrolle in ihrer Bewältigung zu: Der schnelle Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und der massive Ausbau erneuerbarer und erschwinglicher Energie gehören dazu. Wir begrüßen diese Austrittswelle und erwarten, dass viele Stadtwerke noch folgen. Denn: Unter dem Einfluss der fossilen Lobby weiterhin auf klimaschädliche Energiequellen wie fossiles Gas zu setzen, wäre fatal.”
Sam Beiras vom WeiterSo! Kollektiv: “Zukunft Gas steht für Lobbyarbeit für fossile Großkonzerne und Greenwashing vom Feinsten. Nachdem der Verband jahrelang versucht hat fossiles Gas als klimafreundlich darzustellen, bewirbt er nun Wasserstoff aus Erdgas als sogenannte “neue Gase”. Mit PR-Kampagnen und Irreführung der Öffentlichkeit versucht der Lobbyverein so das Geschäft mit dem Erdgas möglichst lange am Laufen zu halten, ohne Rücksicht auf das kippende Klima und die Verbraucher*innen. Es wird Zeit, dass die Stadtwerke sich aus der fossilen Lobby zurückziehen und sich statt dessen auf die kommunale Energiewende im Sinne Ihrer Kund*innen konzentrieren.”
Stadtwerke Bonn (Ausgetreten im April 2022): „Die Mitgliedschaft hat für unsere Agenda der CO2-Neutralität bis 2035 keinen Mehrwert geboten.“
Viele Stadtwerke sind nicht Mitglied bei Zukunft Gas. Die Mitgliedschaften werden auch dort kritisch gesehen, so Jean Petrahn, Geschäftsführer der Stadtwerke Hof (kein Mitglied bei Zukunft Gas): „Es ist aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar, dass ein Verein mit seinem Namen Erdgas als Zukunft bezeichnet. (Erd-)Gas ist sicher nicht die Zukunft der Energieversorgung. Stadtwerke sollten ihre Mitgliedsbeiträge beim Verband Zukunft Gas einsparen und stattdessen in erneuerbare Energien vor Ort investieren.“
Hintergrund
Im Juli 2022 wurden zahlreiche Stadtwerke erstmals auf ihre problematische Mitgliedschaft bei Zukunft Gas hingewiesen. Daraufhin sind bereits zum Jahreswechsel 2022/23 zehn kommunale Unternehmen aus dem Verband ausgetreten. Brisant: Offenbar hat Zukunft Gas auch Stadtwerke, die bereits seit mehreren Jahren ausgetreten sind, weiterhin auf der Website gelistet. Auch Unternehmen, die nur indirekt über ein sogenanntes “Kompetenzzentrum” mit Zukunft Gas verbunden sind, wurden als Mitglieder gelistet. Nach einem Pressebericht im Februar und einem offenen Brief im April haben sich zuletzt die Stadtwerke Rostock und Stralsund von der Website nehmen lassen. In Frankfurt forderten schon mehrere lokale Umweltgruppen und die Linke öffentlich den Ausstieg der Mainova AG aus Zukunft Gas. Auch bei den ausgetretenen Stadtwerken in Rostock waren lokale Gruppen aktiv. Weitere lokale Kampagnen sind aktuell in der Vorbereitung.
Neben diesen Erfolgen stoßen Gesprächsversuche mit Stadtwerken vor allem auf Schweigen und Intransparenz. Viele Stadtwerke ignorieren die Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz und Presseanfragen. Außerdem verweigern sie die Auskunft über die Mitgliedsbeiträge bei Zukunft Gas oder die Gründe für ihre Mitgliedschaft. Für Unternehmen in kommunaler Hand sollte das anders aussehen: Gemeinwohl, Transparenz, und Klimaschutz sollten die Leitplanken unternehmerischen kommunalen Handelns darstellen.
Übersicht Austritte Stadtwerke
Stadtwerke, die ihren Austritt bestätigt haben:
- Stadtwerke Rostock
- Stadtwerke Langen
- Stadtwerke Pinneberg
- Stadtwerke Rastatt
- Stadtwerke Elmshorn
- Stadtwerke Bonn
- Stadtwerke Ettlingen
- Stadtwerke Bietigheim-Bissingen
- Stadtwerke Nortorf
- Stadtwerke Esslingen
- Stadtwerke Meerbusch
- Stadtwerke Tornesch
- Stadtwerke Balingen
- Stadtwerke Erkrath
- Versorgungsbetriebe Kronshagen GmbH
- EWR AG (Worms)
- Gasversorgung Grevesmühlen GmbH
- Stadtwerke Weilheim in OB Energie GmbH
- Stadtwerk am See (Friedrichshafen)
- Gelsenwasser Energienetze GmbH (Austritt bestätigt gegenüber lokalen Aktivist:innen)
Stadtwerke, die seit Juli 2021 von der Mitglieder-Webseite von Zukunft Gas verschwunden sind:
- Energie und Wasser Wahlstedt/Bad Segeberg
- Städtische Werke Spremberg
- SWS Stadtwerke Stralsund GmbH
- WEMAG AG (Schwerin)
- Linz Gas
- E.DIS AG (Fürstenwalde Spree)
Hinweis: Die Mitgliedschaft der E.DIS AG (Fürstenwalde Spree) bei „Zukunft Gas“ wurde uns gegenüber von einem Unternehmenssprecher dementiert. Im Web Archiv vom 14.03.2023 ist die E.DIS AG jedoch als Mitgliedsunternehmen aufgeführt. Wir versuchen, diesen Umstand zu klären.