Kein vorgezogener Kohleausstieg mehr: „Eine Bankrotterklärung der neuen Bundesregierung in Zeiten der Klimakrise“
Kohleverstromung ist die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung. Besonders die in Deutschland noch stark eingesetzte Braunkohle setzt Unmengen an CO₂ frei – pro erzeugter Kilowattstunde rund ein Kilogramm. Und nicht nur das Klima leidet: Der Tagebau zerstört Landschaften, gefährdet Wasserkreisläufe und zwingt Menschen zur Umsiedlung. Es ist daher nur folgerichtig, dass sich Deutschland im Jahr 2020 auf den Kohleausstieg geeinigt hat – spätestens bis 2038.
Doch der Rückhalt für ein schnelles Ende der Kohleverstromung bröckelt: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sowie erste Äußerungen der neuen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche lassen wenig Ambition erkennen, den Kohleausstieg zu beschleunigen. Im Gegenteil: Einige Passagen könnten sogar Tür und Tor für eine Verlängerung dieser klimaschädlichen Technologie öffnen. Was bedeutet das für den Klimaschutz in Deutschland – und welche Spielräume bleiben der Zivilgesellschaft?
Wir haben bei zwei Menschen nachgefragt, die den Kohleausstieg über Jahre hinweg begleitet und mitgestaltet haben: Franziska Buch ist Campaignerin für Energie- und Klimapolitik beim Umweltinstitut München. Fabian Hübner koordinierte acht Jahre lang für das Projekt Beyond Fossil Fuels die Kohleausstiegsverhandlungen auf Bundesebene für die Umweltverbände.
Umweltinstitut: Wie habt ihr die Zeit der Kohlekommission erlebt? Wie zufrieden wart ihr mit den daraus folgenden Beschlüssen?
Franziska: Die Jahre rund um die Kohlekommission waren für den Kohleausstieg und die Energiewende bewegte Zeiten. Es gab massive gesellschaftliche Proteste gegen Kohle, tausende Menschen fanden sich in den Kohlegruben ein, um auf die Umweltzerstörung aufmerksam zu machen. Der Hambacher Wald hatte sich zu einem Symbol des Widerstands gegen Kohle entwickelt, das im ganzen Land bekannt war. Kurz nach den Beschlüssen der Kohlekommission wurde dann „Fridays for Future“ als die Bewegung junger Menschen für mehr Klimaschutz richtig groß. Im September 2019 gingen wir mit fast 1,5 Millionen Menschen in 575 deutschen Städten und Gemeinden beim Klimastreik auf die Straße. Es war toll, dabei zu sein und mitzubekommen, wie hier durch Demonstrationen von Bürger:innen ein politisches Momentum für die Energiewende erreicht wurde.
Von dem Ausstiegsdatum 2038 waren wir dann natürlich enttäuscht, doch wir haben auch das Positive gesehen: Der Hambacher Wald war gerettet und das Ende der Kohle trotz allem eingeläutet. Und es gab ja noch die Ambition, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen. Dass die neue Regierung jetzt davon nichts mehr wissen will, ist angesichts zunehmender Überschwemmungen, Dürre und Hitzeereignissen fatal.
Ihr kämpft seit vielen Jahren für den Kohleausstieg in Deutschland. Was geht in euch vor, wenn ihr den Koalitionsvertrag lest?
Fabian: Hatte sich die Ampel im damaligen Koalitionsvertrag noch die vage Formulierung abgerungen, nachdem der Kohleausstieg „idealerweise“ bis zum Jahr 2030 abgeschlossen sein sollte, bekennen sich Union und SPD nur zum gesetzlichen Ausstiegspfad bis spätestens 2038. Das ist eine Bankrotterklärung der Bundesregierung in Zeiten der Klimakrise und der Koalitionsvertrag ein Dokument der Ignoranz.
Was müsste beschlossen werden, um die Klimaziele im Energie-Sektor noch einzuhalten?
Fabian: Er müsste einen robusten Aufwuchs von Erneuerbaren Energien enthalten bei gleichzeitiger Abschaltung fossiler Kraftwerke. Stattdessen sollen aber die Flächenziele 2032 für Windkraft überprüft werden. Gleichzeitig hängt die Löschung der Emissions-Zertifikate für abgeschaltete Kohlekraftwerke zur Verhinderung, dass die eingesparten Emissionen an anderer Stelle ausgestoßen werden, jedes Jahr von einem Kabinettsbeschluss ab – In Zeiten knapper öffentlicher Kassen soll der Finanzminister einwilligen, auf Einnahmen zu verzichten.
Welche weiteren Punkte im Koalitionsvertrag siehst du besonders kritisch?
Fabian: Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht vor, den Zeitplan, Kohlekraftwerke vom Netz oder in die Reserve zu nehmen vom Zubau steuerbarer Gaskraftwerke abhängig zu machen.
Aufgrund des notwendigen Planungszeitraums und der beihilferechtlichen Genehmigungsverfahren ist der zeitliche Verzug schon jetzt absehbar. Das Festhalten am Kohleausstieg 2038 mit länger laufenden Kohlekraftwerken sabotiert den Klimaschutz, während die Förderung von Gas mit CCS den fossilen Lock-In vorbereitet. Wenn im August 2026 planmäßig die Überprüfung des Kohleausstiegsdatums im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) ansteht, braucht es daher entschlossenen Gegenwind aus der Zivilgesellschaft gegen den drohenden fossilen Rollback.
Viele deutsche Städte zeigen, dass es auch anders geht, und haben ambitioniertere Ausstiegspläne.
Franziska: Ja, absolut. Wir haben mit unserem Projekt „Klimawende von unten“ in dutzenden Städten und Gemeinden Bürger:innen dabei geholfen, mit direkter Demokratie für den Kohleausstieg und die Energiewende aktiv zu werden. In einigen Städten konnten wir so daran mitwirken, dass die kommunalen Kohlekraftwerke früher abgeschaltet werden – zum Beispiel 2025 in Kassel und 2026 in Hannover. In anderen Städten gab es aufgrund der Bürgerbegehren umfassende Beschlüsse für eine klimafreundliche Strom- und Wärmeversorgung ab 2035 durch Stadtrat und Stadtwerke, zum Beispiel in Köln und Flensburg. In München haben wir gemeinsam mit einem breiten Bündnis den Bürgerentscheid „Raus aus der Steinkohle“ initiiert – und gewonnen! Seit Mitte 2024 wird in München tatsächlich auch keine Kohle mehr für Strom und Wärme verheizt. Allerdings wird das ehemalige Steinkohlekraftwerk nun mit Gas betrieben. Aktuell arbeiten wir daher intensiv am Gasausstieg in den Kommunen.
Was steht einem früheren Kohleausstieg also im Weg?
Fabian: Die Novellierung des Kohleausstiegsgesetzes für einen klimagerechten Kohleausstieg 2030 käme die Staatskasse teuer zu stehen. Er wäre abhängig von der Zustimmung der EPH, dem Mutterkonzern der ostdeutschen Braunkohlekonzerne LEAG und MIBRAG, und im aktuellen politischen Kontext schlicht nicht durchsetzbar.
Expert:innen schätzen allerdings, dass der EU-Emissionshandel bis Ende der 20er Jahre so hohe CO2-Preise produzieren wird, dass er die Kohleverstromung ohne weitere staatliche Intervention unrentabel machen wird. Tritt dies ein, müssen nach Kohleausstiegsgesetz keine weiteren Entschädigungen an die Kohlekraftwerksbetreiber gezahlt werden. Ein früheres gesetzliches Ausstiegsdatum wäre trotzdem besser, denn mit dem derzeitigen Modell werden die Kohleregionen real weiter in der Ungewissheit gelassen, ob der Ausstieg nun schon Ende der 20er Jahre kommt oder erst 2038, wie im Gesetz festgeschrieben.
Welche Folgen hätte ein Festhalten am Kohleausstieg 2038 für das Klima?
Fabian: Der Kohleausstieg 2038 untergräbt die internationalen Verpflichtungen der Bundesregierung aus dem Pariser Klimavertrag zur Reduktion von Treibhausgasen. Nicht nur die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in der internationalen Klimadiplomatie leidet darunter, sondern auch die Vorbildfunktion des Kohleausstiegs und der Energiewende für andere europäische Länder wie Polen. Die Bundesregierung bereitet den Kohlekonzernen mit dem Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken eine Brücke, bis neue Gaskraftwerke mit CCS den fossilen Lock-In des deutschen Stromsystems zementieren. So wird der Klimaschutz in Deutschland sabotiert.
Statt das Kohleausstiegsdatum in Frage zu stellen, sollten wir viel mehr über die Energiewende diskutieren. Was sind eure Forderungen an die Politik?
Franziska: Die deutsche Energiewende ist ein Erfolgsmodell, das viel zu oft schlecht geredet wird. Sonne und Wind senden noch immer keine Rechnung und drehen auch nicht plötzlich den Gashahn zu. Überall im Land sprießen Solar- und Windprojekte, die den lokalen Gemeinden und oft auch direkt Bürger:innen vor Ort die Hoheit über die Stromerzeugung ermöglichen. Konzernfrei, unabhängig und ökologisch, ganz wie von den Pionieren der Ökostromerzeugung vorgesehen. Außerdem ist die Signalwirkung der Energiewende enorm: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gilt mittlerweile mehr als 100 Staaten als Vorbild für ähnliche eigene Gesetze!
Längst sind die Märchen der Fossil-Industrie widerlegt, dass das deutsche Stromnetz mehr als vier Prozent Strom aus Erneuerbaren nicht verkraften würde. Allerdings erfordert der Weg hin zu einer vollständig nachhaltigen Stromversorgung nun einige clevere Anpassungen, um die Energiewende zügig und kostengünstig abschließen zu können. Am wichtigsten ist uns darauf hinzuweisen, dass immer noch gewaltige Energiemengen verschwendet werden. So könnte beispielsweise die deutsche Industrie auf etwa die Hälfte ihres Energieeinsatzes verzichten – und dabei sogar durch die eingesparten Energiekosten langfristig noch kräftige Zusatzgewinne einfahren. Dass dies nicht gemacht wird, liegt einerseits an der sehr kurzfristigen Denkweise vieler Manager:innen – was sich in 2-3 Jahren nicht lohnt, wird nicht gemacht. Andererseits herrscht in der Industrie, trotz gegenteiliger Bekundungen, auch der Glaube, der Staat müsse alles richten. Aktuell fordert die deutsche Industrie vehement günstigere Energiepreise – ihre eigene Energieverschwendung will sie dagegen lieber nicht angehen.
Völlig fehl am Platz ist daher die Forderung aus dem neuen Bundeswirtschaftsministerium nach einem Ausbremsen des Ausbaus der Erneuerbaren. Sie zeugt von einem tiefen Unverständnis oder einer erschreckenden Gleichgültigkeit gegenüber den Lebensumständen der nächsten Generation.
Vielen Dank für das Gespräch!
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