Wenn Landwirt:innen Pestizide einsetzen, müssen sie laut Gesetz genau Protokoll darüber führen, welche Mittel sie wann und in welcher Menge auf welchem Acker ausbringen. Diese Aufzeichnungen werden bisher höchstens stichprobenartig kontrolliert, aber nicht zentral erfasst, ausgewertet und öffentlich gemacht. Nach drei Jahren dürfen die Unterlagen vernichtet werden. Lediglich Informationen über die jährlichen Verkaufszahlen von Pestizidwirkstoffen werden in der EU veröffentlicht. Was tatsächlich auf dem Acker landet, erfährt in der Regel niemand.

„Menschen, die in der Nähe landwirtschaftlicher Flächen wohnen, haben das Recht zu wissen, welchen Pestizidwirkstoffen sie ausgesetzt sind“, sagt Vera Baumert, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut. „Und auch der Politik sollte daran liegen, dass Pestizideinsätze zentral erfasst und ausgewertet werden. Denn ohne den Status Quo zu kennen, bleibt das Ziel der EU, Pestizide bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren, zwangsläufig eine leere Versprechung.

Wissenschaftler wie der Insektenforscher Thomas Hörren fordern ebenfalls Zugriff auf die Daten: „Weder Menschen in der Wissenschaft noch in Naturschutzbehörden erhalten aktuell Daten zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Flächenmäßig betrachtet ist das eine der größten Datenintransparenzen unserer Zeit. Die Forschung hat bereits deutlich aufgezeigt, dass Pestizide die biologische Vielfalt beeinflussen können. In welchem Ausmaß, kann man vor allem aufgrund dieser Intransparenz bis heute nicht bewerten“.

Die Ampel-Regierung hatte im Koalitionsvertrag bereits ein „digitales Herkunfts- und Identifikationssystem Nährstoff- und Pflanzenschutz“ angekündigt. „Diese Formulierung ist schwammig und lässt viel Interpretationsspielraum“, so Baumert. Mit der Petition fordert das Umweltinstitut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, ein System auf den Weg zu bringen, mit dem die Aufzeichnungen der Landwirt:innen über ihre Pestizideinsätze zentral erfasst und anschließend veröffentlicht werden. „Unsere Vision ist eine digitale, schlaggenaue und öffentlich zugängliche Datenbank, aus der sich direkte Erkenntnisse über die tatsächliche Pestizidausbringung in Deutschland gewinnen lassen – für Wissenschaftler:innen aber auch für alle anderen Bürger:innen”, fasst Vera Baumert die Forderung zusammen.

Link zur Petition: https://www.umweltinstitut.org/mitmach-aktionen/her-mit-den-Daten-Pestizideinsaetze-offenlegen

Hintergrund

Bei den Aufzeichnungen der Landwirt:innen über ihre Pestizideinsätze handelt es sich um so genannte Umweltinformationen, zu denen laut geltendem Recht ohnehin jedem und jeder Bürger:in auf Anfrage Zugang gewährt werden muss. Bislang endeten Umweltinformationsanfragen auf Zugang zu den Spritzdaten jedoch meist in zermürbenden Auseinandersetzungen mit den Behörden und nicht selten vor Gericht. Die zuständigen Behörden rechtfertigen die Ablehnung der Umweltinformationsanfragen meist damit, dass sie gar nicht über die Daten verfügen würden und der Verwaltungsaufwand, diese zu beschaffen, zu groß wäre.  Darüber hinaus wurde der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen als Ablehnungsgrund angeführt.

Auch das Umweltinstitut hatte Klage eingereicht, nachdem das Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung Brandenburg (LELF) einen Antrag auf Zugang zu Daten über Pestizideinsätze in einem Biosphärenreservat abgelehnt hatte.

Vergangenes Jahr urteilte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in einem Prozess des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) und des Zweckverbands Landeswasserversorgung gegen das Land Baden-Württemberg. Das Präzedenzurteil in zweiter Instanz stellt klar: Bei den Daten über Pestizideinsätze handelt es sich um Informationen über Emissionen in die Umwelt, die für Jedermann zugänglich gemacht werden müssen und bei denen die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen kein Ablehnungsgrund sein darf. Auch der hohe Verwaltungsaufwand, um die Unterlagen zu beschaffen, darf kein Ablehnungsgrund sein. Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass die zugrundeliegende EU-Umweltinformationsrichtlinie vorsieht, dass derartige Informationen von den zuständigen Behörden so umfassend wie möglich zugänglich gemacht und verbreitet werden sollten.

Als Reaktion darauf kommt nun offenbar Bewegung in das Thema: Die Agrarminister:innen der Länder forderten die Bundesregierung auf, bis zu ihrer nächsten Agrarministerkonferenz, die Ende März stattfindet, Vorschläge zur Änderung der entsprechenden Gesetze vorzulegen und die Schaffung eines einheitlichen Systems zur Erfassung der Anwendungsdaten zu prüfen.

Das Umweltinstitut hat bereits Erfahrung mit der Auswertung von Spritzdaten, weil es derzeit die Pestizideinsätze von etwa 1200 Südtiroler Obstbaubetrieben auswertet. Diese Daten konnte die Umweltschutzorganisation im laufenden Prozess gegen ihren Mitarbeiter Karl Bär als Beweismittel sicherstellen lassen. Doch die Auswertung verzögert sich, da die Aufzeichnungen der Landwirt:innen in verschiedenen Formaten und zum großen Teil nicht maschinenlesbar erfasst wurden. „Unsere Erfahrung mit den Südtiroler Betriebsheften zeigt: Die Art und Weise, wie die Pestizidanwendungen derzeit dokumentiert werden, erschwert wissenschaftliche Untersuchungen massiv“, kritisiert Vera Baumert. „Es wird Zeit, dass die Bundesregierung hier nachbessert und die Grundlage dafür schafft, eine klaffende Forschungslücke zu schließen.“

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