CETA-Leak: Wir veröffentlichen geheime Interpretationserklärung
Mit einer Zusatzerklärung wollte die Bundesregierung die anhaltende Kritik am Investitionsschutzkapitel im europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA ausräumen. Gemeinsam mit PowerShift haben wir den unter Verschluss gehaltenen konsolidierten Text sowie eine ausführliche Analyse veröffentlicht.
Ludwig Essig · 4 Minuten
„Demokratie ist nicht verhandelbar„ stand auf den Bannern, mit denen die Grünen vor einigen Jahren gemeinsam mit Hunderttausenden Bürger:innen an den großen Demonstrationen gegen TTIP und CETA teilnahmen. Dennoch ratifizierte die Bundesregierung mit grüner Beteiligung das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA im Bundestag. Wie kam es dazu? Bereits im Juni 2022 kündigten die drei Ampel-Parteien an, anhand einer so genannten Interpretationserklärung umstrittene Punkte des CETA-Abkommens wie Konzernklagerechte für Investoren und fehlende Verabredungen zum Klimaschutz ausbügeln, um später das Abkommen durch den Bundestag ratifizieren zu lassen. Zwei Monate später veröffentlichte das Umweltinstitut München ein juristisches Kurzgutachten, das belegte: Die Kompetenz, den Investitionsschutz in CETA auf diese Weise einzuschränken, hat der zuständige Ausschuss gar nicht! Denn im Ergebnis würde sie über die Grenzen der Auslegung hinausgehen und faktisch den Vertragstext tiefgreifend ändern. Hierzu ist der Gemeinsame Ausschuss aber nicht befugt. Eine entsprechende Erklärung würde also mit hoher Wahrscheinlichkeit von CETA-Schiedsgerichten, die an den Vertragstext gebunden sind und diesen auslegen müssen, nicht beachtet werden. Trotz zahlreicher Warnungen von Jurist:innen und Nichtregierungsorganisationen hielt die Bundesregierung an ihrem Plan fest. Sie machte die Interpretationserklärung zur Bedingung für die Ratifizierung.
Intransparent und undemokratisch
In diesen gesamten Prozess wurden weder der Bundestag noch die Zivilgesellschaft eingebunden. Erst durch einen von uns veröffentlichten Leak erfuhr die Öffentlichkeit von dem Inhalt des Entwurfs des Wirtschaftsministeriums. Obwohl die Interpretationserklärung zum Investitionsschutz als Voraussetzung für die zweite und dritte Lesung des Ratifizierungsgesetzes angekündigt worden war, war der Text bis zum Tag der Ratifizierung durch den Bundestag nicht fertig verhandelt. Erst über ein halbes Jahr nach der Ratifizierung durch die deutschen Parlamente, nämlich am 17. Juli 2023, lag endlich die finalisierte Fassung der Erklärung vor. Nicht jedoch für die Öffentlichkeit, sondern nur für einen „spezifischen Kreis von Personen“.
Das Papier nicht wert
Diesen unerträglichen Zustand beenden wir hiermit und veröffentlichen die Zusatzerklärung! Im Vorfeld haben wir in Zusammenarbeit mit PowerShift und der renommierten Kanzlei Günther aus Hamburg eine juristische und politische Analyse vorgenommen. Unsere politische Analyse kommt dabei zu folgenden Ergebnissen:
- Unverbindliche Interpretationserklärung: Die vorliegende Interpretationserklärung dient lediglich als Interpretationshilfe für die Schiedsrichter:innen. Sie hat keine bindende oder gar ändernde Wirkung auf den Vertragstext selbst. Zu diesem Schluss kamen mehrere juristische Untersuchungen noch vor der Ratifizierung.
- Fehlende Partizipation: Obwohl die Interpretationserklärung zum Investitionsschutz als Voraussetzung für die zweite und dritte Lesung des Ratifizierungsgesetzes angekündigt worden war, erfolgte die Abstimmung im Bundestag, noch bevor die Verhandlungen über das Papier mit Kanada richtig begonnen hatten. Erst über ein halbes Jahr später wurde die Interpretationserklärung finalisiert. Die Bundestagsabgeordneten stimmten damit einem Abkommen unter Bedingung auf ein Papier zu, welches sie nicht kannten und dessen Inhalt sie nicht beeinflussen konnten.
- Intransparenz: Zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden im Vorfeld der ersten Lesung nicht einmal 24 Stunden zur Anhörung eingeräumt. Auch bei der Expert:innenanhörung waren sie im Gegensatz zu Industrievertreter:innen nicht eingeladen. Die Interpretationserklärung wurde im Geheimen verhandelt und wird der Öffentlichkeit vorenthalten.
- Konzernklagerechte haben weiterhin Bestand: Die Möglichkeit für Konzerne, Staaten auf Schadenersatz zu verklagen aufgrund fortschrittlicher Gesetzgebung zum Schutz des Klimas und der Verbraucher:innen, ist weiterhin gegeben. Auch unter Bezugnahme auf indirekte Enteignung und der gerechten und billigen Behandlung. Der vorliegende Text schafft keine Abhilfe.
- Klimaschutz gestrichen: Nahezu alle Bezüge zu Klimapolitik und konkretere Absprachen zum Klimaschutz wurden aus dem Entwurf der Interpretationserklärung gestrichen.
Und auch das juristische Gutachten findet klare Worte:
“Im Ergebnis schafft die Interpretationserklärung keine Abhilfe, soweit es um den Schutz für klima- und umweltschädliche Investitionen geht. Die Interpretationserklärung ist bereits von ihrem Rechtscharakter und ihrer Rechtsnatur her nicht geeignet, das grundlegende Investitionsschutzsystem in CETA zu ändern.”
Kehrtwende
Gerade in Zeiten einer bedrohten Demokratie und eskalierenden humanitären und ökologischen Krisen halten wir sowohl das beschriebene Vorgehen der Bundesregierung als auch die Einführung von neuen Sonderklagerechten für Investoren, die nachweislich die staatliche Handlungsfreiheit einschränken für skandalös! Wir fordern den Stopp der Ratifizierung von CETA und eine dringende Kehrtwende in der Handels- und Investitionspolitik. Wir werden auch weiterhin gegen unfaire Handelsabkommen und undemokratisches Handeln laut werden und freuen uns, wenn Sie mit dabei sind!
Dokumente:
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