Bodensee-Äpfel: Grenzwert des Pestizids Folpet massiv erhöht
Obwohl der Pestizidwirkstoff Folpet mit erheblichen Gesundheitsgefahren in Verbindung steht, dürfen Äpfel aus der Bodenseeregion dieses Jahr zwanzigmal höhere Rückstände des Pestizids aufweisen als in der EU normalerweise erlaubt ist – aufgrund der diesjährigen nassen Witterung und möglichem Pilzbefall.
Vera Baumert · Christine Vogt · 3 Minuten Lesezeit
++++ Update vom 04.09.2024 ++++
Gute Nachrichten: Kurz nachdem das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit höhere Pestizid-Rückstände für Folpet in Bodensee-Äpfeln genehmigt hatte, verkündete die „Arbeitsgemeinschaft der Erzeugerorganisationen und Obstbauvereine am Bodensee“, dass viele Obstbaubetriebe Folpet nun wohl doch nicht einsetzen werden. Die vorhergesagte trockene Witterung mache es nicht nötig, außerdem hätten Großkunden die Abnahme der Äpfel mit dem deutlich erhöhten Pestizidrückstand abgelehnt. Letzteres ist sicherlich auch der kritischen Berichterstattung über das Vorhaben zu verdanken. Im Hinblick auf 20-fach höhere Folpet-Rückstände in Äpfeln vom Bodensee kann nun also vorsichtig Entwarnung gegeben werden. Ob tatsächlich alle Obstbaubetriebe der Region auf die Anwendung von Folpet verzichten, bleibt abzuwarten. Wir werden das weitere Geschehen diesbezüglich im Blick behalten.
Vorgeschichte
Eigentlich ist das chemisch-synthetische Fungizid Folpan 80 WDG mit dem Wirkstoff Folpet in Deutschland nur im Hopfen- und Weinbau erlaubt. Nun darf es aber für die Saison 2024 auch auf Äpfeln und anderem Kernobst angewendet werden – und das kurz vor der Ernte! Möglich macht dies eine so genannte Notfallzulassung, die kürzlich vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für den Obstbau am Bodensee erteilt wurde. Grund dafür sind Pilzerkrankungen, die durch die diesjährige nasse Witterung hervorgerufen werden.
Doch bei der nun erlaubten Anwendung ergibt sich für die Obstwirtschaft ein Problem: Der in der EU geltende Rückstandshöchstgehalt von 0,3 mg Folpet pro kg Kernobst kann bei einer Spritzung so kurz vor der Ernte nicht mehr eingehalten werden. Es werden wesentlich höhere Rückstände des Pestizids in dem geernteten Obst erwartet, was eine Vermarktung der Ernte eigentlich unmöglich machen würde. Die Lösung des BVL? Einfach die Grenzwerte temporär hochsetzen – und zwar auf 6 mg pro kg!
Weil diesjährige Äpfel aus der Bodenseeregion also zwanzigmal höhere Folpet-Rückstände aufweisen dürfen als im Rest der EU, darf die Ernte auch nur innerhalb Deutschlands vermarktet werden. Konkret betrifft das Kernobst wie Apfel, Birne und Quitte aus konventioneller Landwirtschaft in den Landkreisen Bodenseekreis, Ravensburg und Lindau.
Gefahren von Folpet
Der Pestizidwirkstoff Folpet ist laut Einschätzung der EU gesundheitsschädlich beim Einatmen, verursacht schwere Augenreizungen, kann allergische Hautreaktionen verursachen, vermutlich Krebs erzeugen und ist sehr giftig für Wasserorganismen. Außerdem zeigen Studien, dass der Wirkstoff neurotoxisch ist und Parkinson auslösen kann.
Berufskrankheit: Parkinson durch Pestizide
Parkinson ausgelöst durch Pestizide wurde in Deutschland erst kürzlich als Berufskrankheit von Landwirt:innen anerkannt. Der Zusammenhang zwischen dem Auftreten der bisher unheilbaren neurodegenerativen Erkrankung und dem Einsatz von Pestiziden wurde maßgeblich durch die Auswertung von kalifornischen Pestizid-Anwendungsdaten festgestellt. In Kalifornien ist nämlich längst Realität, wovon wir in Deutschland bisher nur träumen können: Alle Pestizideinsätze werden veröffentlicht und können sowohl von Wissenschaftler:innen ausgewertet, als auch von allen Bürger:innen eingesehen werden. Ein öffentliches Register aller Pestizidanwendungen fordern wir auch für Deutschland. Unterstützen Sie uns dabei?
Augen auf beim Apfelkauf!
Folpet soll die Bodensee-Äpfel vor der Pilzerkrankung Apfelschorf schützen, die vor allem Schönheitsfehler auf der Apfelschale verursacht, den Geschmack oder die Verträglichkeit aber nicht beeinträchtigt. Der Einsatz von Folpet und anderen gefährlichen Pestiziden wäre gar nicht nötig, wenn die Vorgaben für das Aussehen von Tafelobst weniger streng wären und Konsument:innen auch optisch weniger perfektes Obst akzeptieren würden. Hier zeigt sich, welch fragwürdige Prioritäten in der konventionellen Landwirtschaft und im Handel gesetzt werden.
An apple a day keeps the doctor away?
Ob diese Redensart für Äpfel aus konventioneller Obstwirtschaft gilt, darf bezweifelt werden. Unsere Auswertung von Pestizideinsätzen im Apfelanbau in der Südtiroler Region Vinschgau zeigte bereits: Im industriellen Apfelanbau werden gesundheits- und umweltschädliche Pestizide in großer Menge und Häufigkeit eingesetzt.
Unsere Empfehlung: Kaufen sie zertifiziertes Bio-Obst – am besten von ökologisch wertvollen Streuobstwiesen in ihrer Region! Im Bio-Anbau dürfen keine chemisch-synthetischen Pestizide wie Folpet eingesetzt werden und auf bio-zertifizierten Streuobstwiesen werden oft gar keine Pestizide versprüht. Denn dort sorgt die Natur mithilfe ihrer Artenvielfalt selbst für gesunde Bäume – auch wenn die Äpfel vielleicht nicht ganz so perfekt aussehen wie im Supermarkt.
Pestizid-Notfallzulassungen sind keine Antwort auf die Klimakrise
Bei der diesjährigen feuchten Witterung sind viele Äpfel und auch andere Kulturen wie zum Beispiel Getreide und Wein von Pilzkrankheiten betroffen. Schon werden die Rufe nach einer noch schwächeren Regulierung des Pestizideinsatzes laut – sonst wäre angeblich die Ernährungssicherheit in Gefahr. Es stimmt: Die Klimakrise hat starke negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Ob zu viel oder zu wenig Regen: Die Extreme mehren sich und die Ernten der industriellen Landwirtschaft leiden darunter. Doch verstärkter Pestizideinsatz ist eine sehr kurzsichtige und hochgefährliche Antwort auf die Gefahren der Klimakrise! Was wir stattdessen brauchen, um Klimakrise und Biodiversitätskrise gleichermaßen zu begegnen, sind gesunde Böden und eine auf Vielfalt statt Monokultur ausgerichtete ökologische Landwirtschaft.
Schluss mit gefährlichen Pestiziden!
Die Agrarwende hin zu einer Landwirtschaft ohne chemisch-synthetische Pestizide ist nicht nur im Sinne der Umwelt, sondern auch im Interesse der Bäuer:innen und Konsument:innen. Und wenn die ökologischen und gesundheitlichen Folgekosten der Pestizidnutzung in den Kaufpreis eingerechnet würden, dann wären ökologisch produzierte Produkte auch günstiger – konventionelle hingegen entsprechend teuer. Pestizidfreie Landwirtschaft darf keine Nische bleiben, sondern muss zur Norm werden!
Ihr Beitrag zu einer pestizidfreien Landwirtschaft
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