Politkrimi um Glyphosat
„Gemeinsam gegen Glyphosat“ – unter diesem Motto protestierten wir in der Münchner Innenstadt gegen die Wiederzulassung des Ackergifts.
Glyphosat - der Kassenschlager unter den Pestiziden
Glyphosat ist das am häufigsten eingesetzte Pestizid weltweit. Das Totalherbizid tötet jegliches pflanzliche Leben. Doch „Unkräuter“ stellen Lebensraum und Nahrung für viele Insekten dar, die wiederum Nahrungsquelle für Vögel und andere Tiere sind. Durch Glyphosat „leergeräumte“ Äcker erleichtern den Landwirten zwar die Arbeit, aber sie verschärfen den Verlust der Biodiversität.
2015 warnte die Weltgesundheitsorganisation zudem, der Stoff sei „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ und erbgutverändernd. Trotz allem plante die EU-Kommission den Stoff auf Antrag der Hersteller für 15 weitere Jahre zu genehmigen. Grundlage hierfür war eine Bewertung des Herstellerantrags durch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
Glyphosat ist überall
Doch diesen Plan brachten wir gehörig durcheinander: Nach der Veröffentlichung der Weltgesundheitsorganisation fragten wir uns, wie stark Lebensmittel durch Glyphosat-Rückstände belastet sind und wie sich dies auf die menschliche Exposition auswirkt. Zu verschiedenen Getreidesorten und Backwaren lagen bereits Untersuchungsergebnisse vor, nicht jedoch zu Bier, bei dem uns eine Belastung ebenfalls wahrscheinlich schien. Daher beauftragten wir die Analyse von Stichproben der 14 beliebtesten deutschen Biere bei zwei Laboren, um diese auf Glyphosat-Rückstände untersuchen zu lassen. Bei allen Proben wurden die Labore fündig. Im Extremfall lag die Belastung fast 300-mal über dem Grenzwert für Trinkwasser.
Unsere Ergebnisse veröffentlichten wir Ende Februar 2016 und brachten damit das Pestizid europaweit in die Schlagzeilen. Das Medienecho war enorm: Neben praktisch allen großen Tageszeitungen berichteten auch zahlreiche Fernsehsender, Radiostationen und Webportale. Rund 350.000-mal wurde das pdf-Dokument mit den Testergebnissen von unserer Homepage runtergeladen. „Gespritztes Bier“ wurde zum Gesprächsthema am Kneipentisch – und das mitten in der heißen Phase des Wiederzulassungsverfahrens.
Für viel Aufmerksamkeit sorgten auch die Ergebnisse einer kurz nach unserem Biertest veröffentlichten Studie. Im Rahmen eines Citizen Science Projekts, zu dem auch das Umweltinstitut aufgerufen hatte, hatten mehr als 2000 BundesbürgerInnen Urinproben abgegeben und auf Glyphosatrückstände untersuchen lassen. Das Ergebnis: Praktisch jede:r von uns hat das Pestizid im Körper. Die Studie zeigt, dass Glyphosat über Nahrungsmittel wie Brot und Bier von uns Menschen aufgenommen wird.
Keine Mehrheit für das Totalherbizid in Brüssel
Als Anfang März die Abstimmung über die Wiederzulassung von Glyphosat in Brüssel anstand, zeichnete sich ab, dass es dafür keine ausreichende Mehrheit unter den EU-Staaten geben würde. Daraufhin vertage die EU-Kommission die Abstimmung zum ersten Mal, um später eine Wiederzulassung für nur noch neun statt der ursprünglich geplanten 15 Jahre vorzuschlagen. Doch auch daraus sollte nichts werden.
Denn in den kommenden Wochen und Monaten setzte sich die Auseinandersetzung um Glyphosat in den Medien fort und wurde zunehmend zum Politikum, wozu wir weiter maßgeblich beitrugen. So beauftragten wir gemeinsam mit der österreichischen Umweltorganisation Global 2000 ein Gutachten, das den Behörden systematische Mängel im Bewertungsverfahren für Glyphosat nachwies.
In Deutschland führte die öffentliche Debatte um Glyphosat schließlich zu einem veritablen Koalitionskrach. Während sich die SPD um Umweltministerin Hendricks (SPD) auf unsere Seite schlug und ein Auslaufen der Glyphosat-Zulassung befürwortete, wollte Landwirtschaftsminister Schmidt von der CSU die Zulassung verlängern. Deutschland musste sich infolgedessen bei den weiteren Abstimmungsversuchen in Brüssel enthalten.
Am Ende war der öffentliche Druck so groß, dass von den ursprünglich geplanten 15 Jahre nur noch eine provisorische Verlängerung der alten Genehmigung um 18 Monate übrigblieb. Die Entscheidung über die eigentliche Wiederzulassung wurde daher auf Ende 2017 vertagt.
Der Alleingang des Herrn Schmidt
Die Zeit bis dahin nutzen wir, um gemeinsam mit anderen Organisationen eine europäische Bürgerinitiativen (EBI) gegen Glyphosat zu starten. Es gelang innerhalb von weniger als einem halben Jahr rund 1,1 Millionen Unterschriften für die EBI zu sammeln.
Ende des Jahres stieg die Spannung. Es war der EU-Kommission mehrfach nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für einen Vorschlag zur Wiederzulassung von Glyphosat für fünfzehn oder zehn Jahre zu bekommen. Ende November trat der Vermittlungsausschuss zusammen. Niemand erwartete eine Mehrheit für das Herbizid. Doch dann kam alles anders. Gegen das Veto aus dem Bundesumweltministerium stimmte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU am 26. November im Vermittlungsausschuss für die Wiederzulassung. Die deutsche Stimme ist mit 16% die gewichtigste unter den Mitgliedsstaaten und sicherte eine qualifizierte Mehrheit für eine Wiedergenehmigung von Glyphosat für fünf Jahre.
Wiederzulassungszeitraum stark reduziert
Unsere Enttäuschung war natürlich riesig, dass das Aus für Glyphosat letztlich am Alleingang des deutschen Agrarministers scheiterte, obwohl ein Verbot so gut wie sicher schien. Trotzdem blieb unser Engagement nicht ohne Erfolg. Denn es ist uns nicht nur gelungen, die Gefahren des Unkrautvernichters einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, sondern auch den Wiederzulassungszeitraum auf ein Drittel der ursprünglich geplanten Dauer zu reduzieren.
Glyphosat verbreitet sich über die Luft
2019 starteten wir gemeinsam mit dem Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BEL) und den Expert:innen für Umweltmonitoring von TIEM ein großangelegtes Messprojekt in Deutschland, bei dem auch die Verfrachtung von Glyphosat über die Luft untersucht wurde. Nach knapp zwei Jahren Pionier-Arbeit konnten wir unsere Untersuchung im September 2020 vor zahlreichen Pressevertreter:innen vorstellen.
Die Ergebnisse unserer bis dato einmaligen Untersuchung sind besorgniserregend und zeigen deutlich, dass sich Glyphosat an Staubkörnern haftend unkontrolliert durch die Luft verbreitet. Die für die Bewertung von Pestiziden zuständige Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) behauptet bis heute über Glyphosat, dass ein Ferntransport durch die Luft nicht vorkomme oder vernachlässigbar sei. Unsere Studie ergab jedoch eindeutig, dass das nicht stimmt.
Auch die damalige Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) erschien persönlich auf unserer Pressekonferenz. Sie betonte, dass unsere Studie eine wichtige Wissenslücke schließe und versprach, sich für die Ausweitung des Ökolandbaus und die Reduzierung des Pestizideinsatzes einzusetzen. Außerdem kündigte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) kurz vor unserer Veröffentlichung an, nun ebenfalls Pestizid-Messungen durchzuführen.
Angekündigtes Glyphosat-Aus in Deutschland
Wir sehen es als Erfolg unserer jahrelangen und unermüdlichen Öffentlichkeitsarbeit zu Glyphosat, dass die Anwendungsbestimmungen des Unkrautvernichters in Deutschland im Februar 2021 deutlich eingeschränkt wurden, inklusive einem Verbot für die Verwendung in Haus- und Kleingärten nach Ablauf der derzeit gültigen Mittel-Zulassungen. Zudem hat die 2021 neu gewählte Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag das endgültige Aus des Unkrautvernichters in Deutschland festgeschrieben. Darin steht: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“ Und auch die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung wurde angepasst – sogar noch unter der vorhergehenden Regierung mit einem CDU-geführten Landwirtschaftsministerium. In dieser Neufassung ist ein Anwendungsverbot von Glyphosat ab dem 01. Januar 2024 verankert.
Es bleibt aber weiterhin spannend. Denn im Herbst 2023 müssen die EU-Staaten erneut darüber entscheiden, ob Glyphosat in Europa erlaubt bleiben soll, oder nicht. Wir machen uns weiterhin dafür stark, dass die Anwendung des Totalherbizids endgültig EU-weit gestoppt wird.
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